Das alte Kind
McCharraigins Lippen sich süffisant spitzten und Cedrics Gesicht glühend rot wurde.
London, Juli 1989
Es war eine Freude, die Kinder um sich zu haben. Frederik hätte auch direkt von Paris nach Rom fliegen können, früher hätte er das getan, aber heute nicht mehr. Schon lange nicht mehr. Er nutzte jede Möglichkeit, in London bei seiner Frau Harriet und Fliss zu sein. Harriet kümmerte sich rührend um die Kleine, und wenn sie unterwegs war, gab es immer noch Sally, die gute, alte Sally. Gerade war Junior für ein paar Tage zu Besuch aus Oxford. Er meinte, er hätte zwar jede Menge für sein Medizinstudium zu tun, aber ein wenig Erholung müsse drin sein. Sein erstes Studienjahr hatte er nun hinter sich. Sie hatten ihn problemlos in Oxford genommen.
Frederik war stolz auf seinen Sohn. Er war clever und sah gut aus, er hatte durch seine private Schulbildung genau die nötige Arroganz, die einen im Leben weiterbrachte. Ein guter Junge, wirklich. Und auch auf Fliss war er stolz. Sie kannte ihren Mozart und ihren Beethoven wie kein zweites Kind in ihrem Alter. Sie hörte den ganzen Tag Musik und hatte so viel Spaß daran. Fast musste er weinen, wenn er sah, wie seine kleine Tochter andächtig vor ihrer Stereoanlage saß und mit geschlossenen Augen mitsummte. Zu ihrem elften Geburtstag hatte er ihr einen CD-Player geschenkt. Sie hatte ihn sich ausdrücklich gewünscht. Wenn Frederik zu Hause war, hörten sie sich beide zusammen eine CD an, die Fliss gerade besonders gut gefiel. Früher waren es Schallplatten gewesen, jetzt CDs. Die kleinen silbernen Dinger gefielen seiner Tochter sehr viel besser. Mit Schallplatten muss man so aufpassen, sagte sie, und man muss sie immer umdrehen, um weiterhören zu können. Manchmal setzte sich Harriet leise zu ihnen. Sie blieb aber nie lange, weil sie wusste, dass dies die ganz besonderen Vater-Tochter-Momente waren.
Gerade hörten sie eine Ravel-Einspielung von Martha Argerich. Wenn die CD fertig war, würde er Fliss von Martha erzählen. Sie freute sich immer, wenn sie Musik von jemandem hörte, den er persönlich kannte. Dann wollte sie alles über diesen Menschen erfahren. Du musst mir einfach alles erzählen, sagte sie dann, falls ich nicht alt genug werde, um ihn zu treffen.
Die CD lief noch nicht lange, als Junior hereinkam. Er blieb lässig im Türrahmen stehen, sagte Hallo, riss einen Brief auf, warf nur einen flüchtigen Blick darauf und knüllte das Papier zusammen. Wann wird sie es endlich lernen, stöhnte er und wollte gerade gehen.
Von deiner Mutter?, fragte Frederik.
Sie weiß doch, dass sie keinen Kontakt zu uns haben darf. Warum versucht sie es immer wieder? Ich könnte sie anzeigen. Soll ich sie anzeigen?, fragte Junior und verdrehte gelangweilt die Augen.
Ich kann mit meinem Anwalt sprechen, damit er etwas unternimmt, schlug Frederik vor.
Bringt doch nichts, sagte Junior.
Fliss stoppte die CD. Sie vermisst uns doch nur, sagte sie, sie meint es bestimmt nicht böse.
Du kennst sie doch gar nicht, fuhr Junior ihr über den Mund, warf das zusammengeknüllte Papier achtlos auf den Boden und ging.
Es ist, weil sie wegen mir verrückt geworden ist, oder?, fragte Fliss ihren Vater.
Aber, Kindchen, wie kannst du so was denken? Hat Junior das etwa zu dir gesagt?, fragte Frederik entsetzt.
Fliss schüttelte den Kopf. Aber sie ist doch erst so geworden, seit es mich gibt, sagte sie.
Unsinn, sagte Frederik. Das ist ganz großer Unsinn. Mit dir hat das gar nichts zu tun. Du musst das so sehen: Sie ist einfach eines Tages krank geworden, und kein Arzt konnte sie bisher heilen. So etwas kommt vor.
Fliss streckte ihre kleine, runzelige Hand nach der Fernbedienung des CD-Players aus. Vielleicht kann Junior sie heilen, wenn er später Arzt ist, schlug sie vor.
Erst heilt er dich, lächelte Frederik.
Fliss lächelte zurück. Und schüttelte den Kopf.
21.
Laurence Gallagher war ein Kommilitone aus Bens Zeit in Newcastle. Laurence hatte an sein Geschichtsstudium noch einen Master in Kunstgeschichte drangehängt. Nach seiner Abschlussarbeit hatte er sich eine Reise nach Berlin gegönnt und war nicht zurückgekehrt. Der Liebe wegen: Tobias, ein Germanistikstudent, ursprünglich aus Stuttgart, hatte sein Herz erobert. Tobias fing bei einer großen deutschen Tageszeitung als Berlin-Korrespondent an und holte Laurence für das Feuilleton dazu. Beide verdienten gut und hatten sich in den wenigen Jahren ihrer Tätigkeit einen guten Ruf erarbeitet. Sie lebten in
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