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Das alte Kind

Das alte Kind

Titel: Das alte Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoe Beck
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Rändern Autos millimeterdicht hintereinander parkten. »Das war früher das Auktionshaus.« Er zeigte auf ein großes weißes Jugendstilstadthaus mit hübschen Balkonen. Im Erdgeschoss befand sich ein edel aussehendes Restaurant. »Die oberen Stockwerke sind luxussanierte Eigentumswohnungen.« Sie fuhren ein paar Straßen weiter, Laurence bog mehrmals ab. Ben hatte längst die Orientierung verloren. Als sie an eine größere Kreuzung gekommen waren, sagte Laurence: »Wir sind wieder am Ku’damm. Siehst du den Showroom dort?«
    Es war der Showroom einer Luxusautomarke. »Sag jetzt nicht, das war früher eine Galerie, die den Mannheimers gehörte.«
    »Das war früher eine Galerie, die den Mannheimers gehörte.«
    »Die Bank hat also doch so einiges an Geld zurückbekommen.«
    »Fehlt nur noch der Verkauf der Villa.«
    Sie fuhren wieder auf dem Ku’damm entlang. Die Tour wurde nun etwas touristischer: Ben sah das berühmte Café Kranzler, den zerstörten Turm der Gedächtniskirche, das KaDeWe. Dann kamen sie nach Schöneberg. Wie schon am Ku’damm schienen die Menschen von einer Gelassenheit, die an Trägheit grenzte, und doch bemerkte Ben in den Blicken etwas Waches, Aufmerksames. Löwen, die im Schatten liegen: Sie dösen nur, jederzeit zum Sprung bereit.
    Laurence fand einen abenteuerlich schmalen Parkplatz, quetschte sein Auto hinein und zeigte auf ein sechsgeschossiges Wohngebäude, dessen Fassade fast schwarz vom Dreck der Jahrhunderte war. »Hier wohnt Carla Arnim«, sagte er.
    »So hab ich mir Berlin vorgestellt.«
    »Sie haben fließend Wasser und seit ungefähr fünf Jahren auch Zentralheizung, und nein, die Klos sind nicht mehr auf halber Treppe.«
    Ben wollte nachfragen, verkniff es sich aber.
    »Willst du gleich zu ihr?«
    Er nickte. »Ist das für dich okay?«
    »Ich habe den ganzen Tag nur für dich Zeit. Und ich platze vor Neugier. Ich habe sie noch nie wirklich gesehen. Nur auf Fotos.
    Fotos, die Ella Martinek von ihr gemacht hat. Also sehr alte und sehr gute Fotos. Aber auch Fotos von den Kollegen von der Boulevardpresse. Die waren weniger schmeichelhaft. Mittlerweile hat keiner mehr Interesse an ihr. Ella Martinek starb zwei Jahre nach dem alten Kind, da waren die Zeitungen noch einmal scharf auf Carla. Man schimpfte sie nach der Beerdigung ihrer Tochter gewaltig aus, Rabenmutter und so weiter. Und kurz nach Ellas Tod tauchte ein Foto auf. Ein Schnappschuss, vermutlich hat sich ein Nachbar ein paar Mark dazuverdienen wollen und es an die Presse verkauft. Auf dem Foto wühlte sie völlig verwahrlost in einer Mülltonne. Ich habe mir, wie gesagt, nach deiner Mail noch einmal alles über Carla und ihr Umfeld herausgesucht. Dieses Bild war shocking.« Er öffnete das Handschuhfach und gab Ben eine Mappe.
    Ben klappte sie auf. Das Bild, von dem Laurence gesprochen hatte, lag obenauf: Carla mit zotteligem, ungewaschenem Haar, tiefen Rändern unter den Augen, verhärmten Gesichtszügen. Sie trug einen schäbigen Mantel, darunter ein viel zu weites, helles Kleid. Als Ben genauer hinsah, erkannte er, dass es ein altmodisches Nachthemd war. Carla war über die offene Mülltonne gebeugt und wühlte mit beiden Armen darin herum. Es könnte sein, dass sie nur etwas suchte. Es könnte sein, dass sie so lebte. Das Bild war von 1993, zeigte aber keine Frau Mitte vierzig. Diese Frau wirkte eher wie siebzig. Als sei sie vorzeitig gealtert. Wie das alte Kind.
    »Viele sagen über Berlin, sie hätten Angst vor der Stadt, sie sei so groß und anonym, keiner würde seine Nachbarn kennen«, sagte Laurence, als sie ausstiegen und auf den Hauseingang zugingen. »Das ist Quatsch. Hier wird genauso getratscht und gelästert wie auf jedem Dorf. Die Leute sagen über Carla, sie hätte es verdient. Wer seine Tochter so verstößt, wie sie es getan hat, kann kein guter Mensch sein. Ich denke, sie urteilen zu hart. Die Frau hat irgendeine psychische Störung, die sich nicht wegtherapieren lässt. Soll ja vorkommen. Die ganze Stadt ist voller psychischer Störungen.«
    Ben blieb stehen und hielt seinen Freund am Arm fest. »Warte.
    Bevor wir mit ihr reden, musst du eins wissen.«
    Laurence lachte unsicher. »Hey, mein Lieber, diesen Gesichtsausdruck kenn ich noch gar nicht von dir. Was ist los? Wird sie mit einer Axt hinter der Tür auf uns warten?«
    Ben zog ein Foto von Fiona, das er für Carla mitgenommen hatte, aus der Innentasche seiner Jacke. Laurence nahm es ihm aus der Hand. »Oh. Carla in besseren Zeiten. Wo hast du das

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