Das alte Kind
vorkommen.« Er schmunzelte.
»Ich bin es nicht, weil ich…« Sie stockte. Suchte nach Worten. Sagte dann, ganz nachdenklich: »Weil ich mit einunddreißig immer noch auf der Suche nach mir selbst bin, keine Verantwortung übernehmen will und darauf warte, dass jemand plötzlich vor mir steht und mit einem Schlag alles gut wird. Wie erbärmlich finden Sie das? Und ich frage Sie als Mensch, nicht als Therapeut.«
Er sah sie lange an. »Aber was ist, wenn Sie Ihre Mutter finden und merken, dass sie Sie nie geliebt hat und auch jetzt nicht lieben kann?«
Sie schüttelte verwundert den Kopf. »Sie hat über dreißig Jahre lang nach mir gesucht. Wieso sollte sie mich nicht lieben?«
»Vielleicht geht es ihr um etwas ganz anderes?«
»Um was denn? Publicity? Die hat sie schon lange nicht mehr. Sie hat ihr ganzes Leben aufgegeben, weil sie nach mir gesucht hat.«
»Ja eben. Sie hat wegen Ihnen ihr Leben aufgegeben. Was hat das wohl mit den Menschen gemacht, die ihr nahestanden?«, warf Lloyd sanft ein.
Fiona sah ihn erschrocken an.
»Können Sie diese Verantwortung übernehmen?«, fuhr er fort. »Gerade haben Sie mir gesagt, dass Sie sich noch nicht in der Lage fühlen, Verantwortung zu übernehmen. Fiona, ich möchte nur, dass Sie sich wirklich bewusst machen, was da auf Sie zukommen könnte. Wenn diese Frau Ihre Mutter ist, was noch nicht feststeht, dann hat sie Sie zuletzt als Säugling gesehen. Sie beide kennen sich nicht. Was haben Sie sich zu sagen? Und wie wollen Sie die Zukunft gestalten?«
Sie starrte ihn mit riesigen Augen an. Horchte seinen Worten nach, versuchte, die Freude, die sie in sich gehabt hatte, nicht ganz sterben zu lassen. Endlich schüttelte sie den Kopf. »Darüber will ich erst nachdenken, wenn feststeht, ob sie es ist oder nicht.« Sie zog eine Augenbraue hoch. »Keine Therapiestunde, was? Und was haben Sie draus gemacht? Eine Therapiestunde. Sie können gar nicht anders, stimmt’s? Sind Sie deshalb nicht verheiratet?« Sie zwinkerte ihm zu, um ihren Worten die Schärfe zu nehmen. »Wissen Sie was, ich bin müde. Von diesen neuen Tabletten werde ich genauso müde wie von dem Valium. Ich geh jetzt auf mein Zimmer.«
Er erhob sich. »Ich bringe Sie. Die Müdigkeit kommt vermutlich auch von der Umstellung. In ein paar Tagen geht es Ihnen deutlich besser, versprochen.«
Ihr Zimmer lag im dritten Stock. Sie schleppte sich träge die Stufen hinauf, während der Psychiater ihr eine Hand zur Unterstützung in den Rücken legte. Als sie ihr Zimmer erreicht hatten, warf sie sich sofort aufs Bett.
»Das sind die neuen Tabletten«, murmelte sie schläfrig. »Kann ich nicht andere bekommen? Ich bin so was von kaputt…«
»Ich sagte Ihnen doch schon…«
»Nein, es sind die Tabletten, glauben Sie’s mir einfach. Wenn ich mich mit was auskenne, dann mit so was.« Sie schaffte es nicht mehr, ihre Augen offen zu halten.
»Ihnen geht’s wohl nur darum, recht zu haben«, sagte Lloyd.
Fiona verstand nicht, was er damit sagen wollte. Aber sie war auch schon fast weggedämmert. »Was ist los?«, nuschelte sie und versuchte, sich aufzurichten. Sie blinzelte in seine Richtung, sah aber nur noch wie durch ein Milchglasfenster.
»Schlafen Sie, Fiona. Schlafen Sie.« Er knipste das Licht aus, verließ ihr Zimmer und machte leise die Tür zu.
Fiona ließ sich wieder auf ihr Bett fallen und schloss die Augen. Nicht lange, und sie träumte schon, und im Traum war ihr, als hörte sie, wie sich ein Schlüssel im Schloss ihrer Zimmertür drehte. Einmal, dann noch einmal.
23.
Carla Arnims Gesicht sah zwar so alt und gebrochen aus wie auf dem Foto aus den neunziger Jahren, aber die Ähnlichkeit mit Fiona war jetzt, da Ben direkt vor ihr stand, überwältigend. Carla war ordentlich und sauber gekleidet, hatte ihr Haar gewaschen und gekämmt. Ihre Bewegungen wirkten erstaunlich flink und geschickt, doch was Ben am meisten beeindruckte war ihre junge Stimme. Schloss man die Augen, könnte man glauben, eine Dreißigjährige vor sich zu haben. Oder Fiona. Schon nach den ersten Worten war Ben erleichtert, dass Carla Arnim von der verbitterten Wahnsinnigen, die die Presse aus ihr gemacht hatte, weit entfernt war.
»Extra aus England, sagen Sie? Von der Presse?« Sie lachte. »Kommen Sie rein. Kommen Sie nur rein, und erzählen Sie.« Carla Arnim führte die beiden in ihre Küche.
»Eigentlich hätten wir lieber, dass Sie uns etwas erzählen«, sagte Ben.
»Oh!« Sie lachte ihn an. »Sie glauben also nicht,
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