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Das alte Königreich 01 - Sabriel

Titel: Das alte Königreich 01 - Sabriel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
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Arme schienen durchs Fenster zu langen, doch plötzlich barst das Eis, und die Splitter fielen zu einem Haufen rasch schmelzendem Matsch zusammen.
    »Du hast es gesehen«, sagten die Clayr gemeinsam. Es war keine Frage. Sabriel nickte zitternd. Ihre Gedanken beschäftigten sich immer noch mit der Ähnlichkeit von Kerrigors ursprünglichem Körper und Touchstone. Wo hatte ihr Lebensweg sich getrennt? Wann hatte Rogir jenen langen Pfad betreten, der ihn schließlich zu dem Scheusal Kerrigor gemacht hatte?
    »Wir haben noch vier Minuten«, erklärte Sanar, »bis die Beutejäger hier sind. Wir helfen dir, den König in deinen Papiersegler zu bringen. Möchtest du das?«
    »Ja, bitte«, antwortete Sabriel. Der Furcht erregende Anblick von Kerrigors grässlicher Geistform hatte ihren Entschluss noch gestärkt. Kerrigors Körper befand sich in Ancelstierre. Sie würde ihn finden und vernichten und sich dann mit seinem Geist beschäftigen. Zuerst aber mussten sie zum Körper gelangen…
    Die beiden Mädchen hoben Touchstone auf und ächzten dabei vor Anstrengung. Ein Leichtgewicht war er nie gewesen, und jetzt war er noch schwerer vom Wasser aus der Zisterne, mit dem seine Kleidung sich voll gesogen hatte. Doch trotz ihres ätherischen Äußeren schafften die Clayr es.
    »Wir wünschen dir Glück, Cousine«, sagten sie, während sie langsam zu dem rot-goldenen Papiersegler schritten, der dicht am Rand der zerbrochenen Mauer stand. Unten glitzerte weiß und blau das Wasser der Saere.
    »Cousine?«, murmelte Sabriel. »Nun, ich nehme an, wir sind tatsächlich so etwas wie Cousinen, nicht wahr?«
    »Alle Kinder der Großen Charter sind Blutsverwandte«, bestätigten die Clayr. »Obwohl die Sippe schrumpft…«
    »Wisst ihr immer, was geschehen wird?«, fragte Sabriel, als sie Touchstone behutsam hinten ins Cockpit legten und mit den Gurten festschnallten, die üblicherweise das Gepäck hielten.
    Beide Clayr lachten. »Nein, Charter sei Dank! Unsere Familie ist die größte der Blutlinien, und die Gabe ist zwischen vielen aufgeteilt. Unsere Visionen kommen in Fetzen und Splittern, flüchtigen Bildern und Schatten. Wenn es sein muss, kann die ganze Familie ihre Kraft einsetzen, um unsere Sicht zu verschärfen – wie sie es heute mit uns getan hat. Morgen werden wir wieder zurück bei unseren Träumen und Erinnerungsfetzen sein und nicht wirklich wissen, wo, wann oder was wir sehen. Aber jetzt haben wir nur noch zwei Minuten…«
    Plötzlich umarmten sie Sabriel und überraschten sie mit der ehrlichen Wärme dieser Geste. Sabriel erwiderte ihre Umarmung freudig und war dankbar für ihr Mitgefühl. Jetzt, da ihr Vater tot war, hatte sie keine Familie mehr – aber vielleicht würde sie in den Clayr Schwestern finden, und vielleicht würde Touchstone…
    »Zwei Minuten«, wiederholten beide Frauen, jede in ein Ohr. Sabriel ließ sie los und nahm eilig das Buch der Toten und die beiden Chartermagie-Bücher aus ihrem Rucksack, um sie neben dem leicht schnarchenden Touchstone einzukeilen. Nach rascher Überlegung stopfte sie auch noch das pelzgefütterte Ölzeug und den Umhang in den Papiersegler, doch den Rucksack mit dem Rest seines Inhalts ließ sie zurück.
    »Nächste Station ist die Mauer«, murmelte Sabriel, während sie ins Flugzeug kletterte. Sie versuchte, nicht daran zu denken, was geschehen würde, falls sie unerwartet irgendwo in der Wildnis würde landen müssen.
    Die Clayr saßen bereits in ihrem grün-silbernen Papiersegler. Während Sabriel sich anschnallte, hörte sie, wie sie zu pfeifen begannen. Chartermagie strömte in die Luft. Sabriel benetzte die Lippen, beschwor ihren Atem und ihre Kraft herbei und stimmte ins Pfeifen mit ein. Wind erhob sich hinter beiden Flugzeugen, schwarzes und blondes Haar flatterte, und das Heck der Papiersegler erzitterte ebenso wie die Tragflächen.
    Sabriel holte tief Atem und strich beinahe zärtlich über das glatte, laminierte Papier des Rumpfes. Unwillkürlich dachte sie an den ersten Papiersegler, der zerbrochen und verbrannt in der Tiefe von Heiligenhall geendet hatte.
    »Ich hoffe, wir beide haben mehr Glück«, wisperte sie, ehe sie mit den Clayr die letzte Note pfiff, den reinen, klaren Ton, der die Chartermagie in ihren Flugzeugen weckte.
    Eine Sekunde später sprangen zwei Papiersegler mit leuchtenden Augen aus den Schlossruinen von Belisaere hinaus und glitten bis fast zur Dünung der See von Saere, ehe sie emporstiegen, um immer höher über dem Berg zu kreisen. Der

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