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Das alte Königreich 01 - Sabriel

Titel: Das alte Königreich 01 - Sabriel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
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den toten Geist in ihm, und an den Tod, den er brächte – und die Gefangenschaft, die über den Tod hinaus auf sie warten würde.
    Sabriel sprang. Ihre Stiefel rutschten ein wenig und sie schlug mit den Armen um sich. Sie atmete kurz durch, versuchte das Gleichgewicht wiederzuerlangen und erreichte den nächsten Stein. Trotz des tosenden Flusses und der schäumenden Gischt sprang sie nun sicher von Stein zu Stein. Nach der Hälfte der Strecke – sie hatte etwa hundert Schritt Wildwasser hinter sich – hielt sie kurz inne und blickte zurück.
    Der Mordicant stand auf dem Sims. In seinen Pranken hielt er das zerbrochene und zerquetschte silberne Fallgitter. Vom Türhüter war nichts zu sehen, doch das überraschte Sabriel nicht. Besiegt würde er dahinschwinden, bis die Chartermagie sich nach Stunden, Tagen oder gar erst nach Jahren erneuerte.
    Das tote Ungeheuer verhielt sich erstaunlich still, doch es war offensichtlich, dass es Sabriel beobachtete. Nicht einmal eine so mächtige Kreatur wie ein Mordicant konnte diesen Fluss überqueren, darum machte er auch keine Anstalten, es zu versuchen. Je länger Sabriel in seine Richtung starrte, umso mehr erschien es ihr, als mache ihm das Warten gar nichts aus. Er wirkte nunmehr wie ein Wachtposten, der den vielleicht einzigen Ausgang von der Insel hütete. Oder wartete er darauf, dass irgendetwas geschah? Dass jemand kam…?
    Sabriel schauderte und sprang weiter. Es war jetzt, vor Sonnenaufgang, ein wenig heller, so dass sie einen hölzernen Landungssteg sehen konnte, der zu einem Tor in der weißen Mauer führte. Dahinter waren die Wipfel winterkahler Bäume zu erblicken. Vögel flogen zwischen den Bäumen und dem Turm hin und her, offenbar auf der Suche nach morgendlichem Futter. Es war ein alltägliches, friedliches Bild, doch Sabriel konnte den Gedanken an die von Flammen umhüllte Silhouette des Mordicanten auf dem Sims nicht verdrängen.
    Müde sprang sie zum letzten Stein und sank auf den Stufen des Landungsstegs zusammen. Sie konnte ihre Lider kaum noch offen halten, registrierte gerade mal noch einen kleinen Streifen direkt vor ihr. Die Maserung der Holzplanken war stets dicht vor ihrem Gesicht, während sie zum Tor hinaufkroch und erschöpft dagegen prallte.
    Das Tor schwang auf und sie fiel in einen gepflasterten Innenhof; von hier aus begann ein roter Ziegelweg, der uralt zu sein schien. Er führte zum Hauseingang, einer himmelblauen Tür, die sich angenehm und freundlich vom weiß getünchten Stein abhob. Ein bronzener Türklopfer in Gestalt eines Löwenkopfes mit einem Ring im Maul glänzte wie das Fell der weißen Katze, die zusammengerollt auf der Türmatte lag.
    Sabriel lag auf den Ziegeln. Während sie die Tränen fortblinzelte, lächelte sie zur Katze hinauf. Die Katze drehte nur ganz leicht den Kopf, um sie mit leuchtend grünen Augen anzuschauen.
    »Hallo, Mieze«, krächzte Sabriel. Sie hustete, als sie sich auf die Füße plagte und stöhnend vorwärts ging. Als sie hinunterlangte, um die Katze zu streicheln, erstarrte sie, denn als das Tier den Kopf hob, sah sie das Band um seinen Hals und das Glöckchen, das daran hing. Das Halsband war nur aus rotem Leder, doch die Chartermagie darauf war die stärkste und dauerhafteste, die Sabriel je gesehen oder gespürt hatte – und das Glöckchen war eine Miniatur-Saraneth. Die Katze war keine Katze, sondern eine Kreatur Freier Magie von uralter Macht.
    »Abhorsen«, maunzte die Katze, und ihre kleine rosa Zunge zuckte vor und zurück. »Wird Zeit, dass du kommst.«
    Sabriel starrte sie einen Augenblick an; dann stöhnte sie und verlor vor Schreck und Erschöpfung das Bewusstsein.

     

8
    Sabriel erwachte bei sanftem Kerzenschein. Ihr war wohlig warm. Sie lag zwischen herrlich glatten Seidenlaken; darüber ein Daunenbett und obenauf noch dicke Wolldecken. In einem Kamin aus roten Ziegeln prasselte ein Feuer, und die Wände waren mit poliertem Mahagoni vertäfelt. Die blaue Deckentapete mit ihrem silbernen Sternenmuster fiel ihr als Erstes ins Auge. Zwei Fenster befanden sich einander gegenüber, doch die Läden waren geschlossen; deshalb wusste Sabriel nicht, wie spät es war. Sie hatte auch keine Ahnung, wie sie überhaupt hierher gekommen war. Zweifellos war es Abhorsens Haus, doch als Letztes erinnerte sie sich daran, dass sie vor der Eingangsstufe in Ohnmacht gefallen war.
    Sogar ihr Nacken schmerzte von der Tag und Nacht währenden Flucht, und so hob sie den Kopf nur vorsichtig, um sich umzuschauen.

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