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Das alte Königreich 01 - Sabriel

Titel: Das alte Königreich 01 - Sabriel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
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ihre Schritte, bis sie schließlich rannte. Ihre Füße pochten in schnellem Rhythmus auf dem Stein. Dann erst wurde ihr bewusst, wieso sie in der Lage war, so schnell zu rennen: Ihr Rucksack und ihre Skier befanden sich immer noch bei der unteren Tür. Einen Augenblick lang wollte sie umkehren; dann kam sie zur Vernunft und besann sich eines Besseren. Ihre Hände tasteten nach dem Schwert und dem Bandelier. Das kalte Metall der Waffe verlieh ihr neuen Mut, ebenso die kunstvoll gedrechselten Holzgriffe der Glocken.
    Es war sehr hell hier. Chartersymbole huschten im Gestein und hielten mit ihr Schritt: Zeichen für Licht und Schnelligkeit und vieles andere, von dem Sabriel nichts wusste. Seltsame Symbole waren es, und vor allem sehr viele – so viele, dass Sabriel sich fragte, wie sie je hatte glauben können, eine Eins in Magie an einer ancelstierrischen Schule würde sie zu einer großen Magierin im Alten Königreich machen. Furcht und die Erkenntnis der eigenen Unwissenheit waren eine wirkungsvolle Medizin gegen dummen Stolz.
    Ein neuerliches Heulen erschallte im Korridor, begleitet von Krachen und Bersten und einem Geräusch, als würde Stahl in Fleisch dringen und gegen Felsgestein klirren. Sabriel brauchte nicht zurückzublicken; sie wusste auch so, dass der Mordicant durch die Tür gebrochen war und nun mit dem Schutzgeist kämpfte oder versuchte an ihm vorbeizukommen. Sabriel wusste wenig über solche Sendlinge, doch sie hatte gelernt, dass die Türhüter unter ihnen ihren Posten nicht verlassen konnten. Sobald ein Eindringling mehrere Fuß an einem Türhüter vorbeigekommen war, vermochte der Hüter nichts mehr auszurichten. Und nach einem weiteren gewaltigen Angriff würde der Mordicant nicht mehr zu halten sein…
    Dieser Gedanke verlieh Sabriel neue Kraft. Noch schneller rannte sie, wusste jedoch, dass sie sich damit völlig verausgabte. Ihr von Furcht getriebener und von Kälte und Überanstrengung geschwächter Körper war dem Zusammenbruch nahe. Ihre Beine fühlten sich bleischwer an, die Muskeln steif und verkrampft, und ihre Lunge blubberte, als würde Flüssigkeit statt Luft darin eindringen.
    Der Korridor vor ihr war scheinbar endlos und stieg immer mehr an. Doch das Licht leuchtete nur dort, wo sie rannte; deshalb war der Ausgang vielleicht gar nicht mehr so weit entfernt. Möglicherweise befand er sich gleich hinter dem nächsten Flecken Dunkelheit.
    Noch während Sabriel dieser Gedanke kam, bemerkte sie ein Glühen, das ihr die leuchtenden Umrisse einer Tür zeigte. Halb keuchte sie, halb schrie sie auf, doch beide Laute gingen in dem unheiligen, unmenschlichen Kreischen des Mordicanten unter.
    Er war am Türhüter vorbei.
    Zugleich wurde Sabriel sich eines neuen Geräusches bewusst, das sie zuvor für das Pochen ihres Blutes in den Ohren und für das Hämmern ihres rasenden Herzens gehalten hatte. Doch der Laut kam von draußen, von jenseits der oberen Tür. Es war ein tiefes Rauschen, so leise, dass es kaum mehr als eine Vibration zu sein schien, ein Schaudern, das sie eher durch den Boden spürte, als dass sie es hörte.
    Schwere Lastwagen auf einer höher gelegenen Straße, dachte Sabriel, bevor sie sich erinnerte, wo sie war. Im gleichen Moment erkannte sie das Geräusch. Irgendwo voraus, aus einem der Felsen ringsum, toste ein gewaltiger Wasserfall. Und ein so mächtiger Wasserfall musste von einem ebenso gewaltigen Fluss gespeist werden.
    Fließendes Wasser! Diese Aussicht beflügelte Sabriel mit plötzlicher Hoffnung – und mit dieser Hoffnung kam die Kraft, die sie bereits verloren geglaubt hatte. In einem wilden Spurt prallte sie fast gegen die Tür; ihre Hände klatschten gegen das Holz, und sie hielt kurz inne, um einen Knauf oder Griff zu finden.
    Doch als sie den Knauf berührte, umklammerte ihn bereits eine Hand, die eine Sekunde zuvor nicht dort gewesen war. Wieder zeichneten Chartersymbole diese Hand, und Sabriel konnte die Maserung des Holzes und das Blau von Stahl durch die Handfläche eines anderen Sendlings sehen.
    Dieser war kleiner und von unbestimmbarem Geschlecht, denn er trug eine Mönchskutte und hatte die Kapuze übers Gesicht gezogen. Der Habit war schwarz und wies als Kennzeichen den silbernen Schlüssel auf.
    Der Schutzgeist verneigte sich und drehte den Knauf. Die Tür schwang auf und offenbarte helles Sternenlicht, das zwischen den von einem neuerlichen Wind gepeitschten Wolken hindurchschien. Das Tosen des Wasserfalls klang durch die offene Tür, begleitet von

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