Das alte Königreich 03 - Abhorsen
fertigen Pfeil in den Köcher in Liraels Rucksack. Sein eigener Rucksack lag am Ufer und diente Mogget wieder einmal als Schlafstätte. Jetzt allerdings nicht mehr, wie er feststellte. Im schwachen Licht, das den Morgen am östlichen Himmel ankündigte, sah er, dass die Lasche offen und der Kater verschwunden war.
Sam sah sich gründlich um, aber er nahm keine Bewegung wahr, und das Licht war nicht hell genug, um etwas zu erkennen, das regungslos dastand oder sich verbarg. Er konnte auch nichts Verdächtiges hören – nur das Gurgeln des Wassers und das ferne Donnern, das von der Grube herüberdrang.
Noch nie hatte Mogget sich einfach davongemacht, und Sam traute dem kleinen weißen Katzenwesen noch weniger als vor den Ereignissen in den geheimnisvollen Tunneln unter dem Haus. Langsam zog er den Bogen aus der Hülle und legte einen Pfeil an. Sein Schwert war griffbereit, doch das Dämmerlicht reichte für einen guten Schuss über kurze Entfernung aus, zumindest bis ans andere Ufer des Flusses, den Sam nicht überqueren wollte.
Da bewegte sich etwas auf der anderen Seite. Eine kleine weiße Gestalt schlich am Wasser entlang. Das wird Mogget sein, dachte Sam und starrte angestrengt hinüber.
Die kleine weiße Gestalt kam näher, und Sams Finger zuckten an der Sehne.
»Mogget?«, flüsterte er. Seine Nerven waren so gespannt wie der Bogen.
»Natürlich! Was dachtest du denn!«, erwiderte die weiße Gestalt, sprang gewandt von Stein zu Stein und schließlich auf den Stamm. »Spar dir deine Pfeile, du wirst sie brauchen. Wenigstens zweihundert Totenhände sind auf dem Weg hierher!«
»Was!«, entfuhr es Sam. »Wo sind Lirael und Nick? Sind sie in Gefahr?«
»Keine Ahnung«, sagte Mogget. »Ich wollte sehen, was vor sich ging, als unsere hündische Gefährtin zu bellen anfing. Sie ist auf dem Weg zu uns, ebenso ihre Verfolger. Aber Lirael und deinen nichtsnutzigen Freund habe ich nicht gesehen. Ah, da kommt der Abscheuliche Hund.«
Mogget hatte die Worte kaum gesagt, da spritzte das Wasser am jenseitigen Ufer auf, als die Hündin erschien, in den Fluss sprang und Mogget mit einem Schwall Wasser übergoss.
Dann erreichte die Hündin sie und schüttelte sich so heftig, dass Sam sich mühen musste, den Bogen in sicherem Abstand zu halten.
»Schnell«, keuchte sie. »Wir müssen weg hier! Auf dieser Seite flussabwärts!«
Die Hündin wartete nicht, sondern rannte am Flussufer entlang. Sam sprang von seinem Stamm, packte seinen Rucksack und eilte hinter der Hündin her. Er hatte eine Menge Fragen, doch mit Schwert, Pfeil und Bogen sowie seinem und Liraels Rucksack schwer bepackt, musste er seine Aufmerksamkeit auf den Weg richten, um nicht zu stolpern und in den Fluss zu fallen.
»Lirael… und Nick? Was… kannst du nicht warten… ich muss das alles besser schultern…«
»Lirael ist im Schilf verschwunden, aber der Nekromant tauchte plötzlich auf. Ich konnte ihr nicht mehr folgen, ohne ihn zu ihr zu führen«, erklärte die Hündin und blickte zurück, während sie lief.
»Deshalb
können wir nicht warten!«
Auch Sam sah sich um, stürzte dabei über seinen Rucksack und ließ Bogen und Pfeil fallen. Als er auf die Beine kam, sah er einen Wall von Leibern auf der anderen Seite des Flusses in unmittelbarer Nähe des halb versunkenen Stammes. Es waren Hunderte, eine große dunkle Masse toter hungriger Gestalten, die ebenfalls sofort flussabwärts strömte.
Aus den Totenhänden ragte eine Gestalt heraus, ein in rotes Feuer gehüllter Mann, der auf einem Pferd ritt, das bis auf ein paar Fleischfetzen an Hals und Widerrist nur noch ein Skelett war.
Hedge. Sam spürte seine Gegenwart wie einen Guss kalten Wassers, und ein stechender Schmerz schoss wie Nadeln in seine Handgelenke. Hedge rief etwas – eine Beschwörung vielleicht –, doch Sam hörte es nicht, denn er war damit beschäftigt, seinen Bogen aufzuheben und einen neuen Pfeil anzulegen. Es war ziemlich dunkel und verhältnismäßig weit, aber nicht zu weit für einen Glückstreffer.
Kurz entschlossen spannte er den Bogen. Einen Moment konzentrierte er sich ganz auf die Linie zwischen ihm und der Gestalt aus Feuer und Dunkelheit.
Dann schoss er und der magische Pfeil flog wie ein blauer Funke davon. Sam verfolgte den Flug hoffnungsvoll, bis der Pfeil mit grellem Aufblitzen in den Körper des Nekromanten schlug. Hedge fiel vom Pferdeskelett, das sich aufbäumte und vorwärts schoss, wobei es sich einen Weg durch mehrere Reihen von Totenhänden bahnte
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