Das Amerikanische Hospital
verfolgt.
Knapp vier Wochen nach dem Transfer im August 1993 verlor Hélène in einer nächtlichen Blutung, die weniger heftig war als das letzte Mal, den Embryo, wenn es denn in der kurzen Zeit, dachte sie, schon ein Embryo geworden war.
Vor einem Jahr war sie, um den zweiten Misserfolg zu vergessen, in Prag gewesen, vor zwei Jahren hatte sie voller Zuversicht und Naivität den Weg zu einem Kind begonnen. Jetzt war sie zweiunddreißig Jahre alt, immer noch jung genug, um es weiter zu versuchen, wie ihr jedermann bestätigte.
Im Oktober bekam Hélène eines Abends gegen zehn einen panischen Anruf aus der Eisenbahnerwohnung von ihrer Tante. Ihre Großmutter werde von entsetzlichen Krämpfen geschüttelt, sie habe bereits nach einem Notarzt telefoniert.
Als Hélène und ihr Mann mit dem Auto im 17. Arrondissement eintrafen, öffnete niemand die Tür. Sie klingelten bei der Concierge, die ihnen schlaftrunken mitteilte, Mutter und Tochter seien mit dem Krankenwagen ins Hôpital Bichat gebracht worden. Sie fuhren zurück auf den Boulevard des Batignolles, bogen am Wepler in die
Avenue de Clichy, an der Metro La Fourche in die Avenue de Saint-Ouen, umrundeten den Montmartre von Westen und erreichten zwischen der Porte de Saint-Ouen und dem Périphérique das Krankenhaus.
Hélènes Tante saß mit verweinten Augen in dem neonbeleuchteten Warteraum vor der Intensivstation. Sie erfuhren, dass Hélènes Großmutter hier noch einen zweiten mysteriösen Krampfanfall gehabt habe, aber am Leben sei, und wurden auf den nächsten Morgen vertröstet. Hélène wollte bleiben, wurde aber von den anderen überredet, lieber schlafen zu gehen, da sie doch nichts tun könne.
Am nächsten Tag war die Großmutter momenteweise bei Bewusstsein, aber halbseitig gelähmt und schien niemanden zu erkennen. Im Laufe der zehn Tage, die sie im Krankenhaus blieb, besserten sich die Symptome zum Teil. Sie hatte wieder ihre lichten Momente, erkannte ihre Verwandten, konnte auch wieder sprechen, wenngleich nur schwer verständlich. Auch die Lähmungserscheinungen ließen nach. Sie fuhren sie im Rollstuhl auf den Hof in die Sonne. Nach zehn Tagen wurde sie in die Geriatrie von Draveil verbracht, das berüchtigte Mouroir, die Sterbeklinik von Paris. Dort verschied sie an einem kalten Dezembertag. Kurz vor Weihnachten wurde sie auf dem Friedhof von Thiais beigesetzt, aber zwei Divisionen von ihrem Mann entfernt, da sie damals kein Familiengrab gekauft hatte, das zu teuer gewesen wäre.
Im Februar diagnostizierte Le Goff zunächst per Ultraschall und im Anschluss mittels einer Laparoskopie, einer Bauchspiegelung, eine Endometriose, die er für mitverantwortlich
an den fortgesetzten Aborten hielt. Die Operation fand unter Vollnarkose statt. Zuerst ein kleiner Schnitt im Bauchnabel, durch den eine Veress-Kanüle eingeführt und Kohlendioxid in die Bauchhöhle gepumpt wurde, um einen Untersuchungsraum zu schaffen. Das Endoskop wurde durch einen Trokarzugang, der einen weiteren Schnitt nötig machte, eingebracht. Hélène litt noch wochenlang danach unter Schulterschmerzen, die durch die Reizung des Nervus phrenicus hervorgerufen wurden, eine häufige Nebenwirkung dieser Eingriffe.
Die Therapie bestand in einer Austrocknung der Endometriose, bei der Hélène durch drei Monatsspritzen Decapeptyl vorübergehend wieder in die Wechseljahre versetzt wurde. Sie bekam Kalzium verschrieben, um einer Osteoporose vorzubeugen.
Dr. Le Goff gab im Frühsommer zu, dass diesmal der Fehler bei ihm lag. Er hatte die nächste IVF so schnell wie möglich nach der Endometriose-Behandlung begonnen, wenn man sicher sein kann, dass sie ausgetrocknet ist, wie er sagte, aber es sei wohl zu schnell gewesen.
Er empfahl eine Pause bis zum Frühjahr kommenden Jahres, und die brauchte Hélène auch. Sie fühlte sich am Ende ihrer Kräfte, und die vier Sommerwochen, die sie in der Bretagne verbringen wollte, zwei mit ihrer Tante, danach zwei mit ihrem Mann am Meer, kamen gerade recht.
Das einfache Häuschen, das Hélènes Großmutter von ihren Eltern geerbt hatte, eine aus Strohlehm gebaute Kleinbauernkate, die nur ein außen liegendes Plumpsklo besaß, war nun herrenlos, und obwohl die Eigentümerin selbst schon mehrere Jahre nicht mehr hier gewesen war,
machte ihr Tod einen Unterschied. Das Haus wirkte wie ein Nutztier, eine Kuh oder ein Schaf, dem der Bauer gestorben ist und das, an einen Pflock geleint, dasteht und der Dinge harrt, die kommen sollen.
Es befand sich auf halber
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