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Das Amerikanische Hospital

Titel: Das Amerikanische Hospital Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kleeberg
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ihr entfernt, und hütete sich nach fünf Minuten, so offen mit ihm zu reden wie vorher. Er war nicht in der Lage, schien ihr, irgendetwas aufzunehmen, was über den Austausch von Höflichkeiten oder Reminiszenzen hinausging.
    Woods, ein großer, vielleicht fünfzigjähriger Mann mit einem gestutzten grauen Vollbart, in persona so angenehm
wie am Telefon, hatte sie gewarnt, ihr Bekannter wirke heute kränker, als er sei, das liege an der neuen Medikation, die ihn, wie er sich ausdrückte, umhaue.
    In zwei, drei Wochen wird es schon ganz anders sein, vielen Dank, dass Sie gekommen sind. Verstehen Sie, es ist schlimmer als beim ersten Mal. Wenn man glaubt oder sich einbildet oder glauben will, man habe so etwas überwunden, und dann kommt es zurück, dann ist es viel schlimmer als zuvor. Abgesehen davon, dass das Vertrauen in unsereinen darunter leidet. Zweifelsohne ist die medikamentöse Therapie zu früh abgesetzt worden beim letzten Mal, und da die traumatische Erinnerung ausschließlich im emotionalen Gedächtnis sitzt, ist es nicht möglich, damit analytisch zu arbeiten. Momentan ist jegliches Urvertrauen weg. Aber ich bin zuversichtlich, dass es zurückkehrt.
    Also hat er eine falsche Therapie bekommen?, fragte Hélène.
    Woods wurde gleich wieder zum Arzt. Nein, bestimmt nicht. Es kann, wenn die Krankheit chronisch-episodisch verläuft, auch nach einer erfolgreich beendeten Therapie zu einem Rückfall kommen.
    Hélène hatte ihm von ihren beiden erfolglosen Versuchen in der Zeit seiner Abwesenheit berichtet, aber der Amerikaner hatte nur genickt und etwas wie Ja, bitter gemurmelt, schien aber kurz darauf schon wieder an anderes zu denken oder an gar nichts. Mehrmals begann er von Fort Leavenworth zu sprechen, dem Command and General Staff College, der Beförderung, aber dann öffnete sich die Tür, jemand kam herein, nahm ein Buch aus dem Regal, und die Konzentration war verloren. Die
ganze Vertrautheit schien dahin. Er war introvertiert, schüchtern wie ein Halbwüchsiger, zog den Kopf ein wie ein geprügelter Hund, und Hélène begann, misstrauisch gegen Woods zu werden. Immerhin erfuhr sie, dass Cote seit Ende Dezember wieder in Paris war, als stellvertretender Heeresattaché an der Botschaft.
    Ich wollte es unbedingt, sagte er. Ich wollte unbedingt zurück, obwohl ich schon gespürt habe, dass es wiederkommt. Als ich mich beworben habe, musste ich nachweisen, dass meine Sprachkenntnisse und mein Wissen von der Politik und Geschichte - und eben auch von der Kultur -.
    Er unterbrach sich, als Dr. Woods den Kopf zur Tür hereinsteckte und dann eine abwehrende Geste machte, als wolle er sagen: Kümmern Sie sich nicht um mich. Aber dann hatte er den Faden verloren. Und als Hélène nachfragte, schien er sie nicht zu hören. Er lächelte und sagte: Verzeihung, können Sie das nochmal sagen?
    Als Hélène die Station verließ, ging sie wortlos an Woods vorüber und überlegte, was sie tun könne, um ihm das Handwerk zu legen. Draußen brach ihr der Schweiß aus, und sie spürte, dass sie nicht mehr über dieselbe selbstverständliche Zuversicht und Kraft verfügte, um dem Amerikaner zur Seite zu stehen wie vor einigen Jahren bei ihren ersten Begegnungen.
    Aber es ist immer wieder erstaunlich, und man erstaunt jedes Mal von Neuem darüber, wie viel die Medizin, das heißt Heilkunst und vor allem Medikamente, heute ausrichten kann. Nach dem vierten oder fünften Besuch begann Cote wieder der zu werden, an den sie sich erinnerte, es sei denn, dachte sie, ich habe mich an seinen
Zustand gewöhnt. Aber so war es nicht. Dr. Woods’ Behandlung begann erste Erfolge zu zeigen, ganz so wie er es angekündigt hatte.
    Und Hélènes halber Entschluss, sich nach ein, zwei weiteren Besuchen zurückzuziehen und die neurologische Station nicht mehr aufzusuchen, wurde vergessen. Ab März entwickelte sich der Donnerstag zum festen Besuchstag, und für Hélène, die noch keine neue IVF startete, hatte es etwas seltsam Erleichterndes, nur zu Besuch in das Krankenhaus zu kommen, die Rampe entlang der altehrwürdigen Klinkerfassade hinaufzugehen und das zugleich vertrauenerweckende und furchteinflößende High-Tech-Heilungszentrum zu betreten, das dahinter summte und atmete.
    Woods, der ihr Vertrauen zurückgewonnen hatte, erklärte ihr im Beisein des Majors, dessen schlechter Zustand zu Anfang habe daran gelegen, dass in der Eindosierungsphase des Paroxetins und bei sukzessiver Dosissteigerung depressive und apathische Schübe

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