Das Amulett der Macht
entgegnete sie ernst.
Das Essen wurde im Freien serviert. Die Sonne war untergegangen, und das ganze Dorf saß um ein großes Feuer herum, über dem die Ziege an einem Spieß briet. Es dauerte nicht lange, da waren die Kinder satt und entfernten sich, um zu spielen, und die Dorfbewohnerinnen zogen sich in die Häuser zurück. Lara war damit die einzige noch anwesende Frau.
»Es ist an der Zeit, über wichtige Dinge zu sprechen«, sagte der Führer des Dorfes, in einem Ton, der sich deutlich von der freudigen Herzlichkeit seiner vorherigen Rede unterschied, als er Lara willkommen geheißen und ihr für die Rettung von Omar, Hassam und Gaafar gedankt hatte.
»Ich freue mich, mit dir zu sprechen, Abdul, mein Vetter«, sagte Omar. Sein Ton ließ vermuten, dass er sich ganz und gar nicht freute. »Worüber wollen wir sprechen?«
»Über das Amulett von Mareish natürlich«, sagte Abdul. »Leugne nicht, dass du Lara Croft angeworben hast, um dir bei der Suche zu helfen.«
»Warum sollte ich das leugnen?«, fragte Omar. »Lara Crofts Ruf ist allen bekannt. Sie ist in der ganzen Welt berühmt dafür, dass sie Dinge findet, die im Laufe der Geschichte verloren gingen. Warum sollten wir uns ihr Können nicht zunutze machen, wenn sie uns ihre Hilfe anbietet?«
»Das will ich dir sagen«, erwiderte Abdul mit finsterer Miene. »Das Amulett darf nie gefunden werden – weder von Lara Croft noch von sonst jemandem!«
Lara hatte Mühe, sich zurückzuhalten und nicht selbst das Wort zu ergreifen, aber Omar warf ihr einen Blick zu, der teils Warnung, teils Flehen war, und sie biss sich auf die Zunge.
»Ich verstehe nicht, Abdul«, sagte Omar. »Wenn Lara Croft das Amulett fände und mir übergäbe, damit ich es zerstören kann – was würde dir daran missfallen?«
»Sie wird es dir nicht geben! Das Amulett ist von eigenem Leben erfüllt, und es will nicht sterben! Sie wird glauben, dass sie es benutzt, aber es wird sie und dich benutzen! Der Mahdi war ein dummer Bauer, und ein Jahr, nachdem er das Amulett gefunden hatte, konnte er lesen und schreiben und Millionen von Menschen beeinflussen. Glaubst du, er hätte plötzlich die britische Universität besucht? Es war nicht der Mahdi, der da sprach und las und schrieb – es war das Amulett! Lara Croft darf es nicht finden. Niemand darf es finden. Du bist mein Vetter, Omar, aber wenn ich glaubte, dass du eine Chance hättest, das Amulett zu finden, würde ich dich auf der Stelle töten.«
»Jetzt muss ich sprechen«, sagte Lara. Sie stand auf und überging die aufgebrachten Blicke und das Gemurmel der Männer des Dorfes. »Ich habe gehört, dass das Volk des Sudans keine größere Verpflichtung kennt als die des Gastgebers gegenüber seinen Gästen. Und doch höre ich, wie mein Gastgeber das Leben seiner Gäste bedroht … darunter sein eigener Vetter, den ich als tapferen und ehrenwerten Mann kennen gelernt habe.«
Abduls Wangen röteten sich bei ihren Worten. »Sie haben richtig gehört, Lara Croft«, bestätigte er schließlich. »Die Pflicht der Gastfreundschaft ist in der Tat die heiligste, aber Sie begreifen die Macht des Amuletts nicht. Anders als wir wissen Sie nicht, welche Verlockung es ausüben kann, wie es selbst das reinste Herz zum Bösen verführen kann. Aus diesem Grund haben wir geschworen, unser Leben zu opfern, sollte es nötig sein, um dafür zu sorgen, dass das Amulett unentdeckt bleibt.«
»Nichts bleibt für immer unentdeckt«, sagte Lara. »Glauben Sie mir, ich weiß es – das ist schließlich mein Geschäft. Warum wollen Sie es nicht selbst suchen und zerstören, anstatt zu hoffen, dass niemand es findet?«
»Niemand findet das Amulett, es sei denn, es will gefunden werden«, sagte Abdul. »Deshalb haben die Mahdisten es nicht gefunden, obwohl sie seit über hundert Jahren danach suchen. Aber keiner von ihnen wurde als würdig befunden, in die Fußstapfen des Mahdis zu treten. Wenn einer von uns das Amulett fände, würde das bedeuten, dass das Amulett diese Person als neuen Mahdi erwählt hat, und diese Person, ganz gleich, welche Absichten sie hat, wäre nicht imstande, das Amulett zu zerstören. Von dem Moment an, da dieser Mensch es berührt, wäre es zu spät. Darum ist es gefährlich, auch nur nach dem Amulett zu suchen.«
»Du vergisst den Zauber«, sagte Omar. »Er verleiht uns die Macht, das Amulett zu vernichten, bevor es uns verderben kann.«
Diese Worte entlockten den Dörflern ein höhnisches Murmeln. »Du sprichst ketzerisch, mein
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