Das Amulett der Pilgerin - Roman
schob den Teller von sich.
»Ich würde mir gerne die Beine vertreten. Ich habe den gesamten Tag über im Sattel gesessen.«
»Das trifft sich gut, denn ich muss Mister Bartholomeus Bescheid sagen, dass ich meinen Mann wiedergefunden habe. Mein Pony muss ich außerdem abholen.«
Sie gingen hinaus und schlenderten die Straße hinunter. Jetzt, da der Gottesdienst vorbei war, waren wieder mehr Menschen unterwegs. Viviana schob ihre Hand in Julians, die seltsam kalt und starr war. Doch gerade, als sie ihre Hand wieder zurückziehen wollte, erwiderte er ihren Händedruck. Hand in Hand gingen sie in Richtung Stadttor wie ein Liebespaar.
»Warum steht auf dem Schild eigentlich ›Zum Pfeffersack‹, wenn doch jeder das Gasthaus ›Goldener Hund‹ nennt?«, fragte Viviana plötzlich.
Lesen konnte sie auch, durchfuhr es Julian. Es bestand kein Zweifel, Viviana musste der Kurier sein. Mit welchem Geschick sie beim Überfall dem Räuber die Kehle durchgeschnitten hatte. Es passte alles zusammen. Sie hatte ihm in dieser Nacht das Leben gerettet, aber der Grund war, dass sie ihn weiterhin als Deckung benutzen wollte. Er bräuchte einen Beweis. Das Erkennungszeichen hatte sie vermutlich im Meer verloren, denn das Medaillon um ihren Hals war leer. Konnte es sein, dass sie sich tatsächlich nicht daran erinnerte, wer sie war? Ebenso schnell, wie ihm der Gedanke gekommen war, erstickte ihn Julian wieder. Nein, das war einfach zu unwahrscheinlich. Vermutlich hatte sie auch Rinaldo nur als Tarnung benutzt. Oder aber er war ihr Verbündeter.
»Ich nehme an, die Schenke hieß früher einmal so, und da sowieso keiner lesen kann, hat sich der neue Name nicht eingebürgert.«
Viviana nickte nachdenklich. Es war ihr bisher gar nicht aufgefallen, dass sie lesen konnte. Es war so selbstverständlich für sie. Aber Julian hatte recht, die allermeisten Leute konnten nicht lesen oder schreiben. Doch sie konnte es. Das war auffällig und ungewöhnlich, weil sie eine Frau war. Sie warf Julian einen Seitenblick zu. Irgendetwas stimmte nicht, er verhielt sich so seltsam und war gleichzeitig darum bemüht, normal zu erscheinen.
Sie erreichten das Camp und kamen zum Wagen von Mister Bartholomeus. Der Händler saß auf dem Holzbock und war damit beschäftigt, verschiedenfarbige Bänder zu sortieren. Als er Schritte hörte, blickte er auf.
»Ah! Sie haben Ihren Gatten gefunden, Mistress Viviana? Das ist ja großartig. Habe ich doch gleich gesagt, dass sich Ihr Mann die Gebeine des Heiligen Edward nicht entgehen lassen würde.« Er kletterte vom Wagen herunter.
»Ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet, dass Sie sich meiner Frau angenommen haben«, sagte Julian und verbeugte sich.
»Keine Ursache. So eine charmante Dame ist unsereins keine Last.«
Julian nahm zwei Münzen aus seinem Beutel und reichte sie Mister Bartholomeus.
»Sie haben sicher Kosten gehabt. Ich möchte Sie gerne entschädigen.«
»Das wäre doch nicht nötig gewesen«, protestierte Mister Bartholomeus, während er die Münzen behände einsteckte. Dann kramte er in einem Kasten, der hinter ihm auf dem Wagen gestanden hatte, holte ein kleines Glasfläschchen hervor und reichte es Viviana.
»Liebe Mistress Viviana, ein Abschiedsgeschenk muss sein.« Er entkorkte das Fläschchen und hielt es ihr hin. Der süße, schwere Duft von Rosen breitete sich aus.
»Ein paar Tropfen davon ins Haar« – er tröpfelte ein wenig von dem Öl auf Vivianas Scheitel –, »und Sie duften wie ein Engel.«
Er verschloss das Gefäß und drückte es ihr in die Hand.
»Nicht, dass Ihre Gattin Hilfe nötig hätte.« Er blickte Julian vielsagend an.
Nachdem sie das Pony beladen hatten, verabschiedeten sie sich und gingen zurück in die Stadt. Während Viviana ihr Gepäck in Julians Kammer brachte und sich ein wenig frisch machte, kritzelte Julian eine eilige Nachricht an den Sheriff. Er hatte mit Sir William gesprochen, als er vorhin aus Salisbury zurückgekommen war, und ihn um Diskretion gebeten. Es war eine reine Vorsichtsmaßnahme gewesen, da er eigentlich nicht erwartet hatte, Viviana eine halbe Stunde später im »Goldenen Hund« zu finden. Jetzt war er froh, dass er den Sheriff in die Untersuchung eingeweiht hatte, dann musste er nicht so viel erklären. Sir William war ein Mann des Königs, ein verständiger, ernster Ritter, der der Geheimen Kanzlei seine volle Unterstützung zugesagt hatte. Die würde Julian jetzt brauchen.
Es war ein schöner Abend, und sie setzten sich in den
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