Das Amulett der Pilgerin - Roman
Innenhof des Gasthauses. Man hatte einige dünne Balken in etwa einem Meter Abstand über den Hof gezogen, an denen sich im Sommer Geißblatt emporrankte und eine natürliche Laube bildete. Im Winter wurden sicherlich als provisorisches Dach Strohmatten darübergelegt, um zusätzlichen Stauraum zu schaffen. Möglicherweise wurden aber auch Betten aufgestellt und an die armen Schlucker vermietet, die im Sommer draußen schlafen würden, aber im Winter doch etwas mehr Schutz benötigten. Aber jetzt war es angenehm warm, und die Blüten verströmten ihren schweren, süßen Duft, der zahlreiche Nachtfalter anlockte, die um ihre Köpfe flatterten.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Viviana, die Julian gegenübersaß und mit ihrem Weinbecher spielte.
Julian zuckte mit den Schultern, er wusste nicht, warum er zögerte. Er sollte sie auf der Stelle festnehmen, aber dann wäre diese Illusion unwiederbringlich für immer vorbei. Außerdem, sagte er sich, um sich nicht selbst zu sehr verachten zu müssen, war Emmanuelle Foulaise gefährlich. Er musste sicherstellen, dass er sie festnahm, ohne dass sie eine Chance zur Flucht erhielt.
»Du verhältst dich wirklich sonderbar, Julian.«
Er durfte ihr keinen Anlass zum Misstrauen geben, schoss es ihm durch den Kopf. Ärgerlich über sein auffälliges Gebaren, riss er sich zusammen.
»Es tut mir leid. Ich habe ein Problem mit meinem nächsten Auftrag. Aber das lässt sich auch morgen lösen.« Er blickte Viviana an und lächelte.
»Also, was machen wir jetzt?«, wiederholte er ihre Frage und beantwortete sie auch gleich: »Die Angelegenheit in Reading hat sich erledigt, und ich muss da nicht mehr hin. Ich nehme an, du willst weiter nach Rinaldo suchen?«
»Ja, das möchte ich wirklich gerne. Mister Bartholomeus war sich sicher, dass jeder Pilger, der hier vorbeikommt, unbedingt den Schrein des Heiligen Edward sehen wollen würde.«
»Hat Rinaldo Shaftesbury erwähnt?«
»Nein, er hat nur von Saint Albans gesprochen, aber das war sein Endziel.«
»Es könnte sich wahrscheinlich lohnen, hier nach ihm zu fragen.« Julian wusste natürlich, dass Rinaldo hier gewesen war, aber eine Suche würde ihm vielleicht die Möglichkeit geben, Viviana unbemerkt an einen Ort zu bringen, an dem er sie ohne Aufsehen festsetzen könnte.
»Ich habe schon in einer Reihe von Herbergen gefragt, aber niemand hat ihn gesehen. Wir sollten es an den Toren versuchen.«
»Was machen wir, wenn wir ihn gefunden haben?«
»Dann geben wir ihm sein Gepäck zurück.«
»Ich meine, was machen du und ich, wenn wir Rinaldo gefunden und ihm sein Gepäck zurückgegeben haben?«
Viviana schob ihre Hand über den Tisch und unter seine. Er nahm ihre schlanken, braunen Finger und betrachtete sie.
»Es sieht nicht so aus, als hätte ich einen Ehering getragen!«
»Nein, es sieht nicht so aus.«
Was, zum Teufel, tat er hier? Er hatte dem Sheriff geschrieben, dass er die französische Spionin morgen früh festnehmen und zum Verhör bringen würde.
Viviana bewegte liebkosend ihre Finger.
»Ich bin so froh, dich wiedergefunden zu haben.«
Julian blickte in ihre dunklen Augen, und fast konnte er glauben, dass sie die Wahrheit sagte. Er nahm ihre Hand und küsste sie. Er war besessen, sie hatte ihn verhext. Er fühlte sich wie ein dem Tod Geweihter, der trotzdem nicht von dem Kelch mit dem Gift lassen konnte. Ohne ein weiteres Wort stand Viviana auf, und Julian folgte ihr die Treppe hinauf in ihre Schlafkammer.
Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, zog er sie in seine Arme. Ihr warmer Körper schmiegte sich an ihn, ihr Haar duftete nach Rosen. Er strich darüber und nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände. Ihre Augen waren schwarz und von einer bodenlosen Tiefe. Seine Finger glitten über ihre dunkle, samtene Haut. Ihre vollen Lippen boten sich ihm dar, und er beugte sich vor und küsste sie. Der Kuss entfesselte die mühsam zurückgehaltene Leidenschaft. Viviana schlang ihre Arme um seinen Hals und zog ihn hinunter auf das Lager. Ihre Lippen liebkosten seinen Mund, und ihre Zunge strich über seine. Ihre Hände glitten unter sein Hemd und über seinen Rücken. Die Berührung ließ ihn erschaudern. Es war lange her, und er war ein Verdurstender, der endlich eine Quelle gefunden hatte. Sie zog ihm sein Hemd über den Kopf und lehnte sich einladend zurück auf das Lager. Einen Moment betrachtete er sie. Sie war die schönste Frau, die er jemals gesehen hatte. Sie war einfach perfekt, ihre sanften Kurven,
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