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Das Amulett der Pilgerin - Roman

Titel: Das Amulett der Pilgerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Bastian
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hatte Viviana ihre Gefühle unter Kontrolle, aber der Gedanke, dass ausgerechnet Julian Zeuge dieses Vorfalls geworden war, war unerträglich. Kurz entschlossen stand Viviana auf und öffnete vorsichtig die Tür. Sie spähte den Gang hinunter, an dessen Ende sich tatsächlich eine Tür befand. Das musste die Gästekammer der Brandstifter sein. Viviana lauschte, aber alles blieb still. Die Tür der Kammer war nicht verschlossen, sondern gab dem Druck ihrer Hand nach. Es war ein geräumiges Gemach mit einem erhöhten Bett, Tisch und zwei Stühlen und einer Art Kommode. Jemand hatte hier übernachtet, war aber offenbar schon abgereist, denn es lagen keine persönlichen Sachen mehr herum. Sie entdeckte eine weitere Tür an der linken Wand, öffnete sie und blickte in eine kleine Kammer. Sie hatte kein Fenster, sondern nur eine Luke im Dach, die auch für frische Luft sorgte. Im Winter war es sicherlich ein muffiges, dunkles Quartier. Zwei Betten standen über Eck. Auf dem einen lagen ein Hemd, zwei Beinlinge und ein Holzkamm, dessen Zinken vom Haarfett des Besitzers dunkel verfärbt waren. In beiden Betten war geschlafen worden, aber es befanden sich nur die Sachen einer Person im Zimmer. Einer der drei Männer schien noch bleiben zu wollen. Sie ging wieder in den größeren Raum und blickte aus dem Fenster, das zum Hof hinausführte. Da standen sie tatsächlich abreisebereit mit zwei Pferden auf dem Pflaster! Der Glatzkopf sprach mit einem seiner Männer, aber wo war der dritte Kerl? Ärgerlich verließ sie das Fenster, um zurück in ihr Gemach zu gehen. Sie hatte die Gelegenheit zur Rache an dem Glatzkopf verpasst. Gerade als Viviana die Tür öffnen wollte, hörte sie Schritte den Gang entlangkommen. Mit einem Satz war sie bei dem erhöhten Bett und beugte sich schnell über das zerwühlte Bettzeug. Langsam zog sie das Leinentuch von der Strohmatratze. Sie hatte richtig vermutet, und einen Augenblick später ging die Tür auf.
    »He, was machst du hier?«
    »Ich wechsle das Leinen, Sir«, murmelte sie, ohne sich umzudrehen. Sie kannte die Stimme, es war der dritte Mann.
    »Bist du sicher, dass wir die Laken nicht noch brauchen können?« Der Mann lachte anzüglich und griff ihr von hinten zwischen die Beine. Viviana wirbelte herum und rammte ihm ihr Messer bis zum Heft in die Brust. Er starrte sie erschrocken an.
    »Na«, zischte sie, »wer hat es jetzt wem besorgt, du Schwein?«
    Der Mann taumelte nach hinten und rutschte an der Wand entlang zu Boden. Er starrte sie völlig überrascht an, bis seine Augen langsam glasig wurden und das Leben in ihnen erlosch. Viviana zog ihr Messer aus seinem Körper heraus und wischte es an dem Bettzeug ab. Zumindest einen von ihnen hatte sie erwischt. Sie bugsierte die Leiche unter das Bett und verdeckte sie notdürftig mit dem Bettzeug. Dann eilte sie zurück in ihre eigene Kammer. Hoffentlich würde Melchor nicht zu lange auf sich warten lassen, dachte Viviana, als sie sich das Blut von den Händen wusch. Es war töricht gewesen, den Mann zu ermorden, schalt sie sich, und obwohl es ihr eine kurze Genugtuung verschafft hatte, war ihr doch auch die Sinnlosigkeit ihres Tuns klar. Es wäre ungünstig, wenn die Leiche vor ihrer Abreise entdeckt werden würde. Sie hätte sich nicht dazu hinreißen lassen sollen, ihren Gefühlen nachzugeben, dachte Viviana verärgert. Doch ihre Sorge war unbegründet, denn wenig später klopfte Melchor Thorn erneut an die Tür. Er sah zufrieden aus.
    »Sie sehen aus, als wenn Sie Ihre Angelegenheit erfolgreich erledigt haben«, sagte Viviana leichthin.
    »Allerdings habe ich das. Ihr ehemaliger Reisebegleiter, Julian White, Sie erinnern sich?«
    »Natürlich.«
    »Ich hoffe, Sie haben keine Freundschaft geschlossen, denn er wird sicher wegen Hochverrats hängen.«
    »Tatsächlich, wie das?«
    »Er hat die Liste gestohlen und will nicht verraten, wo er sie versteckt hat.«
    »Der Arme«, sagte Viviana, griff nach ihrem Umhang und folgte Melchor die Treppe hinunter. Er half ihr auf eine hübsche, braune Stute, eine höfliche Geste, wenn seine Hand nicht zu lange auf ihrem Bein gelegen hätte. Sie musste sich etwas ausdenken, um ihn sich vom Leib zu halten.

• 22 •
    J ulian White!«, sagte Rinaldo überrascht. »Sind Sie mit der Schatztruhe des Königs durchgebrannt?«
    Julian schüttelte den Kopf. Er hatte den Spanier völlig vergessen, dachte er schuldbewusst. Seit Emmitt ihm von Rinaldos Festnahme berichtet hatte, hatte er nicht mehr an ihn

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