Das Amulett der Seelentropfen (Seelenseher-Trilogie) (German Edition)
meiner Handfläche hatte sich ihr Wappen abgezeichnet, so fest hatte ich sie gegen Heft und Knauf gedrückt. In meiner Hand war ein Adler. Keiras Wappen. Realdin war ein Adler. Ich hatte dem Schützer von Keiras Familie gegenübergestanden, ohne es zu wissen. Mein Großvater hatte mir immer gesagt, dass die ältesten Familien der Welt auf magische Weise mit dem Tier ihres Wappens verbunden waren. Dass diese Tiere über die Familie wachten und nur erschienen, wenn es darum ging, das Familiengeheimnis zu beschützen. Was auch immer in dem Tal hinter den Bergen Turians lag, war ein Geheimnis der Familie Kanterra. Dennoch, warum hatte Realdin nicht auf meine Antwort gewartet. Fast hätte ich mir vor Blödheit gegen den Kopf geschlagen. Genau das hatte ich doch getan. Ich hatte ihm die Antwort schon in meiner Frage geliefert.
Wo die Zeit ewig fließt
und der Gesang nie verklingt,
Liegt begraben, was Hoffnung gibt.
Das Gedicht fragte nach dem Objekt, das hier versteckt wurde und von dem Beschützer Keiras Familie bewacht wird. Das Gedicht sprach über das Amulett der Seelentropfen und genau das hatte ich Realdin gesagt. Ich lachte ein wenig hysterisch über mein blindes Glück. Ich fragte mich, was ich noch alles in dieser Felsspalte erleben würde oder wem ich noch begegnete. Realdins letzte Anspielung hallte in meinen Gedanken nach, »Bist du triffst, was deine Familie ist.«
Ich wunderte mich, was er damit meinte. Meine Familie war tot bis auf meinen Großvater und den würde ich ganz sicher nicht hier antreffen. Langsam setzte ich mich wieder in Bewegung, bis der Nebel meine Gestalt aufs Neue verschluckt hatte.
Nur einmal hielt ich an, um gegen eine feuchte Wand gelehnt einige wenige Stunden zu schlafen. Der Nebel war auch nicht lichter, als ich meine Augen öffnete und mich in meinen klammen Klamotten streckte. Eine Erkältung war wohl das Mindeste was ich mir hier holen würde. Meine Kleider fühlten sich furchtbar steif an, was ein Weitergehen nicht gerade einfacher oder angenehmer machte. Immer wieder erklang ein schepperndes Geräusch, wenn Keiras Schwert gegen die Wand schlug.
Die Felsspalte schien mir immer enger zu werden. Ich schob mich inzwischen nur noch quer durch die Spalte und überlegte schon, meinen nicht mehr vorhandenen Bauch einzuziehen. Den Rucksack trug ich bereits in der Hand. Dünner konnte ich mich also wirklich nicht machen. Ich wusste nicht, wie lange ich diese Lücke entlang glitt und wie lange ich noch durchhalten würde, ohne nicht doch noch klaustrophobisch zu werden. Würde ich nicht jeden Zentimeter der Felswand an meinen inzwischen zerschundenen Handflächen spüren, wäre ich mir nicht einmal sicher, ob ich mich überhaupt vom Fleck bewegte. Sicher war, dass meine Haare in nassen Strähnen über meine Schulter fielen und ich allmählich anfing zu zittern. Meine Fingernägel hatten ihre Ausmaße an einer Blaufärbung schon erreicht. Es würde mich nicht wundern, wenn auch meine Lippen anfingen, ihre rote Farbe zu verlieren. Ich musste dringend aus dieser Wand heraus. Dauerfrost war noch nie gut gewesen und ich war eine Frostbeule. Ich schlief ja nicht umsonst schon unter zwei Schlafsäcken und fror manchmal immer noch.
Ich atmete erleichtert auf, als ich spürte, wie die Enge der Wand ein wenig von mir abrückte. Ich konnte wieder besser Luft holen, auch wenn diese immer noch unangenehm feucht war. Meine Handflächen taten ununterbrochen weh, winzige Rinnsale Blut liefen an meinen Handgelenken hinunter und tropften auf den Boden oder wurden von dem ohnehin schon nassen Stoff aufgesaugt. Als ich endlich wieder normal laufen konnte, hoffte ich, dass der unendliche Nebel doch endlich ein Ende finden würde. Bald schon hätte eine zweite Person neben mir Platz gehabt. Ein Platz, der leer bleiben würde. Durch das Gewicht des Rucksacks spürte ich meinen nassen Pulli unangenehm an meinem Rücken kleben. Wenn ich je hier herauskam, dann würde ich jeden Nebel kilometerweit umgehen.
Ich erstarrte zu einer Eissäule - die sich hier auch wunderbar gehalten hätte - als ich dachte, vor mir drei weitere riesenhafte Gestalten auszumachen. Drei große Silhouetten, die vor mir in die Höhe ragten, wie unbewegliche Monumente. Es waren nicht Realdin und seine Wachen. Die Gestalten vor mir waren massiger und schienen irgendwie zottig zu sein. Meine Hand glitt wie zuvor sogleich zu dem Heft von Keiras Schwert. Die Anwesenheit ihrer Gedanken schob sich in die meinen. Ich spürte ihre Gegenwart
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