Das Amulett der Seelentropfen (Seelenseher-Trilogie) (German Edition)
gehauen. Ich wartete. Etwas anderes blieb mir auch nicht übrig. Ich würde erst weiterkommen, wenn Sebilia es erlaubte, bis dahin verharrte ich genau dort, wo ich jetzt stand. Wie in Zeitlupe bewegte Sebilia ihre massigen Pranken rückwärts und wich ein Stück von mir weg. Ihre Augen ruhten wieder auf mir und erforschten meinen unergründlichen Blick.
»Jemand wie du ist mir in der Zeit deiner Familie noch nie untergekommen. Du hättest schon mehr als einmal sterben sollen. Deine Schützerin hat es geschafft über ihren Tod hinaus für deine Sicherheit zu sorgen. Deine Seele hat bereits überstanden, woran jeder andere zerbrochen ist. Es ist kein Wunder, dass die Zeit auf dich gewartet hat, um das Amulett der Seelentropfen freizugeben. Janlan Alverra du bist das wahre Oberhaupt des Ordens von Alverra. Wir sind euch ewig treu ergeben und werden tun was wir können, um dir beizustehen. Angefangen von deiner Reise durch diesen Pass.«
Sebilia legte sich auf den Bauch und machte sich so flach wie möglich, damit ich auf ihren Rücken steigen konnte. »Ich biete euch meine Dienste an. Steigt auf meinen Rücken und ich bringe euch aus diesem Nebel hinaus.«
Ich sah sie einen Moment prüfend an, dann kletterte ich auf ihren muskulösen Rücken. Sie erhob sich ebenso elegant, wie sie sich auch hingelegt hatte. Ich schwankte dennoch bei dieser Bewegung.
»Haltet euch fest«, warnte Sebilia, bevor sie mit einem weiten Satz in den weißen Nebel sprang. Ich hatte keine Ahnung, woran ich mich festhalten sollte und entschied mich ihren Hals mit meinen Armen zu umklammern. So schnell, wie sie durch diesen Engpass rannte, dachte ich jeden Moment gegen eine Felswand zu prallen. Der Aufprall blieb aber aus. Sie flitzte in einem ungeheueren Tempo durch den Fels, wobei sie jede Pfote sicher aufsetzte. Ich schloss nach nur wenigen Metern bereits meine Augen und hoffte, dass es die ansteigende Übelkeit unterdrücken würde. Ich erschrak, als mein Gesicht aus der Nebelwand auftauchte. Der Wandel der Luft war unverkennbar. Sie war trockener und viel wärmer. Aber vor allem roch sie nicht so modrig und kalt. Überrascht schlug ich die Augen auf. Sebilia stand an einer Klippe, unter der sich ein Tal ausbreitete, das keinem mir bekannten glich.
Die Aussicht war atemberaubend. Ich konnte nicht anders als mit offen stehendem Mund jedes kleinste Detail gierig mit den Augen einzusaugen. Dies musste das Vorbild für die Dichter gewesen sein, die versucht hatten, den Menschen ein Bild des Paradieses zu vermitteln. Das Tal schien eine unendliche Größe zu haben. Kein Berg zeugte von dem Ende des Tales. Die Farben waren überwältigend. Nirgends hatte ich so ein sattes und saftiges Grün gesehen. Der Himmel hatte eine Farbe, wie sie nur in den besten Schnulzen Hollywoods zu finden war. Das Unbeschreiblichste jedoch war der riesengroße See, überdem ein noch viel größerer Baum wuchs. Er ragte weit in den Himmel hinauf und ich glaubte, nicht einmal seine Krone wirklich erkennen zu können. Er schien nicht ein Blatt an den Herbst verloren zu haben. Seine Äste waren so dick wie ein Zug und bogen sich in alle Richtungen. Die Wurzeln des Baumes reichten bis weit in den See hinein. Sie waren noch viel größer als seine Äste. Ich hatte nicht gedacht, dass solch ein Baum überhaupt existieren konnte. Dieser Baum wirkte wie der Urvater jedes Baumes. Ich konnte nicht einmal raten, wie alt er sein musste. Oder wie alt dieses Tal war. Menschen waren hier sicher noch nie gewesen. Eine solche Schönheit der Natur hätten sie nicht unberührt gelassen.
Der See funkelte und reflektierte jeden einzelnen Sonnenstrahl und war so klar, dass ich bis auf seinen Grund hinab sehen konnte. Ich erkannte genau, wo die Wurzeln des Baumes schließlich in der Erde verschwanden. Erst als ich absolut alles angesehen hatte, richtete sich meine Aufmerksamkeit auf eine Melodie, die durch die Luft vibrierte. Sie klang durch die Blätter des Baumes und in den einzelnen Liedern der Vögel. Sie war in dem Säuseln des Windes und in dem Scharren der Tiere. Sie war in jedem Grashalm und in jedem Stein. Sie durchdrang dieses Tal und sie durchdrang mich.
Der Ursprung war unverkennbar der Baum. Getragen wurde sie von allem in diesem Tal, ob es lebte oder seelenlos erschien. Dieses Tal war magisch. Daran bestand kein Zweifel. Es war unendlich. Es war zeitlos. So zeitlos wie das Lied, das, wie ich ganz tief in mir wusste, kein Ende hatte. Es war das Lied des Lebens. Ein ewiger
Weitere Kostenlose Bücher