Das Amulett der Zauberin: Roman (German Edition)
bedachte, wie es bis jetzt mit ihrer Magie gelaufen war, hielt sie auch ein wenig Beklommenheit nicht für unangebracht. Aber sie empfand nur Frieden und Dankbarkeit. Als sie neben Hazard zum Lift ging, dankte sie im Stillen dafür, dass es in ihrer Macht gestanden hatte, Allison zu helfen, und dass sie es ohne Rückschläge oder Fehler geschafft hatte. Zumindest hatte sie nichts in der Art bemerkt, und sie würde auch nicht danach suchen.
»Warum hast du es getan?«, fragte Hazard, als sie allein im Lift standen.
Eve machte ein ausdrucksloses Gesicht. »Was?«
»Den Wunderheiler gespielt.«
Er wusste es, und es überraschte sie nicht. Vielleicht erklärte das sogar die kleinen Veränderungen in seinem Verhalten. Das bedeutete allerdings nicht, dass sie es jetzt und hier mit ihm besprechen wollte, bevor sie sich über ihre eigenen Gefühle klargeworden war. Und selbst damit hatte sie es nicht eilig. Sie wollte einfach noch eine Weile auf dieser Welle unkomplizierter Freude reiten.
»Ich weiß nicht, was du meinst«, sagte sie.
»Doch, das weißt du. Ich bin kein Arzt, aber ich weiß, dass das Gesicht dieses Mädchens außergewöhnlich verheilt ist. Und anders als alle anderen dort weiß ich, dass es kein Gottesgeschenk war. Ich … habe es gefühlt. Ich habe dich gefühlt … deine Macht. Genau wie am Abend der Versteigerung, und das Gefühl ist unverwechselbar … als wäre ich gleichzeitig beschwingt und vollkommen überwältigt«, erklärte er und rieb sich kurz die Stirn. »Aber darum geht es nicht. Warum hast du es getan?«
Eve starrte ihr Spiegelbild in der polierten Lifttür an. Anders als ein Spiegel lieferte das glatte Metall ein Bild ohne Details, das an den Rändern ein wenig schwammig war. Sie fand das seltsam passend, weil sie sich innerlich momentan auch etwas schwammig fühlte. Sie wollte nicht allzu genau über all das nachdenken müssen, und das musste sie auch nicht. Die Antwort auf seine Frage war plötzlich einfach da.
Sie wandte sich um und suchte seinen wartenden Blick. »Ich hatte es nicht vor. Es war eine Bauchentscheidung. Ich habe es getan, weil jemand, dem ich sehr vertraue, mir gesagt hat, wenn ich Gutes in der Welt tun kann, sollte ich es auch tun. Heute hatte ich die Chance, etwas Gutes zu tun, und habe sie genutzt. Das war alles.«
Es folgte Stille. Eve fühlte seinen Blick und war froh, als der Lift anhielt und die Türen sich öffneten.
»Dieser jemand, dem du vertraust … es war deine Großmutter, oder?«, fragte er, als sie in die Empfangshalle traten.
Eve nickte. »Woher weißt du das?«
»Ich höre es in deiner Stimme, wenn du über sie sprichst, und ich sehe es in deinen Augen.«
Seine tiefe Stimme verwandelte die Worte in eine Art verbale Liebkosung, und ihre Haut kribbelte. Sie konnte nichts dagegen tun. Es fühlte sich gut an, dass er sie so sorgfältig beobachtete und sie so gut verstand. Von seinem Interesse ermutigt, erzählte sie ihm auf dem Weg zum Auto von Gran und von ihrem Großvater und seinen Beweggründen, in den Krieg zu ziehen.
»Wenn er den Mut hatte, so viel zu riskieren und zu opfern«, sagte sie, »dachte ich mir, ich sollte auch meine Angst verdrängen, um alles in meiner Macht Stehende zu tun und einem Mädchen zu helfen, dem das Schicksal schlechte Karten ausgeteilt hat.«
»Ist es nur das, Eve? Eine einmalige Sache? Das war’s?«
Sie zuckte kurz mit den Achseln. »Ich weiß es nicht. Wenn du mich vor ein paar Tagen gefragt hättest, hätte ich dir genau sagen können, was ich fühle und was ich will. Natürlich hätte sich die Frage vor ein paar Tagen noch gar nicht gestellt. Vor ein paar Tagen hätte ich es nicht getan, ich hätte es nicht gewagt. Was die Zukunft angeht …« Sie hob wieder die Schultern. »Ich nehme an, falls wir den Talisman zurückbekommen …«
Er unterbrach sie. » Sobald wir ihn zurückbekommen.«
Sie lächelte, weil sie bemerkte, dass er seit dem letzten Mal, als sie darüber gesprochen hatten, die Seite gewechselt hatte. » Sobald wir ihn zurückbekommen, werde ich wohl ein paar Antworten finden müssen.«
Er öffnete ihr die Autotür, und als sie einstieg, bemerkte Eve einen Koffer auf dem Rücksitz, der ihr vorher nicht aufgefallen war. »Musst du irgendwohin?«
»Nicht ganz.«
Eine ausweichende Antwort, mal wieder.
»Weißt du, ich habe genauso einen Koffer«, meinte sie. Genauso, weil ihrer auch einfach schwarz war. Es ging nicht darum, akkurat zu sein. Sie wollte nur wissen, was dahintersteckte,
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