Das Amulett des Dschinns
sich vernahm. Als sie sich umwandte, stand er hinter ihr.
Sofort verneigte Aaliyah sich tief vor dem Fürsten. Doch aus den Augenwinkeln musterte sie ihn dennoch aufmerksam.
Er war ein überaus schöner Mann mit seinem dichten Haar und den sinnlichen dunklen Augen. Seine Gestalt war die eines Mannes, der jeden Tag körperlicher Arbeit nachkam und keineswegs schwächlich oder gebrechlich wirkte, wie sie geglaubt hatte.
Trotzdem meinte sie, einen leicht grausamen Zug um seine Augen zu bemerken. Oder täuschte sie sich nur? Wo ihn doch das Volk aufgrund seines ausgeprägten Sinns für Gerechtigkeit und seiner Güte über die Maßen schätzte und verehrte?
„Mir hat es an nichts gefehlt, mein Fürst“, erwiderte sie demütig. „Mein Vater sagte mir, dass Ihr nach mir geschickt habt. Was kann Eure ergebene Dienerin für Euch tun?“
„Könnt Ihr Euch das wirklich nicht denken, meine Schöne?“ Er seufzte versonnen. „Jeden Abend stehe ich an meinem Fenster und sehe Euch zu, wie Ihr Wasser aus dem Brunnen schöpft. Und in der Nacht verfolgt Ihr mich in meinen Träumen, Aaliyah. Ich kann so nicht mehr weiterleben. Euch nur aus der Ferne sehen zu dürfen, ohne Euch jemals zu berühren oder mit Euch zu sprechen – das ist mehr, als ich ertragen kann. Und deshalb habe ich Euren Vater gebeten, Euch mir zur Frau zu geben.“
„Aber …“, stieß Aaliyah überrascht und schockiert zugleich hervor. „Ihr habt bereits ein Eheweib, und auch ich bin einem anderen Mann versprochen! Ihr seht also …“
„Ach was“, fiel der Fürst ihr ins Wort und winkte ab. „Ich kann so viele Frauen haben, wie ich will. Und was Euren zweiten Einwand betrifft: Euer Vater sagte mir bereits, dass Ihr vor vielen Jahren einem Taugenichts die Liebe schwort. Doch das ist lange her. Ihr wart damals noch ein Kind, und ein solcher Schwur ist nichts wert.“
Entsetzt starrte Aaliyah ihn an. Wie sollte sie ihm nur beibringen, dass sie ihn nicht heiraten konnte, weil ihr Herz schon einem anderen gehörte? Stumm verfluchte sie ihren Vater dafür, dass er sie in diese Situation gebracht hatte. Er wusste doch, dass sie auf Hamid wartete.
Hamid …
Der Gedanke an ihren Liebsten ließ Aaliyah wieder etwas zur Ruhe kommen. Seit er vor etwas mehr als einem Jahr fortgegangen war, um sein Glück zu machen, hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Doch ihr Glaube an seine Liebe und Treue war nach wie vor ungebrochen.
Eines Tages, das wusste sie genau, würde Hamid zu ihr zurückkehren. Und dann würden sie den Rest ihres Lebens glücklich Seite an Seite miteinander verbringen, so wie es Mann und Frau bestimmt war. Ganz gleich, was ihr Vater dazu sagte.
„Mein Fürst“, begann Aaliyah vorsichtig. „Ich … Ihr lasst mir große Ehre zuteilwerden. Dennoch kann ich Euer Angebot nicht annehmen, denn ich …“
„Missversteht mich nicht, meine Schöne“, unterbrach er sie erneut. „Ich bitte Euch nicht um Eure Zustimmung – ich fordere sie. Es ist alles längst beschlossen, Euer Vater hat bereits zugestimmt!“
„Nein“, keuchte Aaliyah heiser, doch tief in ihrem Herzen wusste sie, dass der Fürst die Wahrheit sprach. Ihr Vater hatte Hamid nie als Schwiegersohn akzeptiert. Zudem musste ihm das Begehren des Fürsten sehr gelegen kommen, denn eine solche Heirat brachte einen unschätzbaren Zuwachs an Einfluss und Reichtum mit sich.
„Unsere Hochzeit wird schon zum nächsten vollen Mond stattfinden“, verkündete der Fürst mit einem verschlagenen Lächeln. „Ihr habt die Wahl, ob Ihr die Zeit bis dahin in einer Zelle meines Kerkers oder lieber im Haus Eurer Familie zubringen wollt!“
Aaliyah blieb gar keine andere Wahl, als vorerst zuzustimmen.
Hamid, wenn du doch nur hier wärest …!
Sie legte so viel Gefühl in diesen Gedanken, dass er durch die Lüfte getragen wurde, weit und noch weiter, bis in die entlegensten Regionen des almoravidischen Reiches.
In einem kleinen Haus aus gestampftem Lehm, am Rande der Wüste Sahara, schlug in dem Moment ein schlafender Mann die Augen auf.
Hamid hatte den Hilferuf seiner Geliebten vernommen. Noch in derselben Nacht machte er sich auf zu ihrer Rettung.
4. KAPITEL
Gegenwart
Djemaa el Fna bedeutet aus dem Arabischen übersetzt so viel wie „Versammlung der Toten“ – doch das hat mit der heutigen Nutzung des riesigen Platzes im Herzen von Marrakesch nichts mehr zu tun. Einst Hinrichtungsstätte der Almohaden-Sultane, dient er nun als Marktplatz und verwandelt sich nach Einbruch der
Weitere Kostenlose Bücher