Das Amulett von Gan (German Edition)
verliert seine Kraft. Die Welt stirbt. So stelle ich mir vor, was Nebijah uns über die Folgen erzählt hat, die das Versiegen der Quelle mit sich bringen würde.«
Niedergeschlagen schauten sie auf die sterbende Natur. Würde es wirklich bald überall so aussehen – auch bei ihnen zu Hause?
»Ein Grund mehr, sich zu beeilen. Wir müssen es schaffen, die Quelle wieder zum Fließen zu bringen. Wir müssen einfach!«, sagte Pendo verbissen.
»Ja, wir müssen!«, stimmten die anderen ihr zu. Sie alle hatte ein unbändiger Zorn über die Ausmaße der Zerstörung dieser wundervollen Landschaft gepackt. Doch da wurde Alon sehr ernst.
»Kinder, wir dürfen uns nichts vormachen. Wenn ihr mich mitschleppt, werdet ihr nicht ans Ziel kommen. Ihr müsst alleine weitergehen.«
»Aber Alon, wie sollen wir es ohne dich schaffen?«, fragte Chika.
»So, wie es um mich steht, wäre ich für euch keine Hilfe. Außerdem – der Erfolg eurer Aufgabe hängt gewiss nicht von mir ab. Der Schöpfer der vier Lebensströme muss euch beistehen. Nur mit ihm könnt ihr das Wunder vollbringen.«
Finn, Pendo, Joe und Chika wollten ihm widersprechen, aber der Waldhüter duldete keine Widerrede. »Nein! Geht! Ich kann nicht weiter. Wenn ich mich etwas erholt habe, versuche ich nachzukommen. Vielleicht kann ich mit meinem Bogen den einen oder anderen schwarzen Vogel vom Himmel schießen.« Die vier Gefährten mussten trotz aller Sorge über Alon schmunzeln. Er würde für sein Land wirklich alles geben.
»Du hast recht. Es bleibt uns keine andere Wahl«, sagte Joe schließlich in entschiedenem Ton. Er hatte zwar Angst, die letzte Strecke ohne Alon zurücklegen zu müssen (auch wenn er das vor den andern natürlich niemals zugegeben hätte), aber jetzt hatte er nur noch das Ziel im Blick: Die Quelle der vier Lebensströme musste wieder zum Fließen gebracht werden. Die drei anderen nickten mit Tränen in den Augen. Sie konnten nichts sagen; ihnen tat Alon furchtbar leid. Außerdem spürten sie, wie bei dem Gedanken, ohne ihn weitergehen zu müssen, Panik in ihnen aufstieg.
Alon sagte: »Es geht wirklich nicht anders. Folgt immer diesem Weg, er führt euch direkt zur Quelle. Umwege machen jetzt eh keinen Sinn mehr, denn die Schwarzalben haben uns vermutlich nur noch nicht entdeckt, weil die meisten von ihnen an den Ausgängen des Zauberwaldes postiert waren oder weil sie uns noch für gefangen halten. Aber spätestens, wenn sie von unserer Flucht hören, werden sie alle hierher eilen. Gebt acht und tragt eure Kapuzen tief übergezogen. Eure Umhänge sind immer noch der beste Schutz, den ihr jetzt habt.« Alon musste kurz verschnaufen und neue Kräfte sammeln, bevor er weitersprechen konnte: »Am Ende des Waldes stoßt ihr auf eine große Lichtung. In ihrer Mitte, auf einem kleinen Hügel, steht eine wunderschöne Statue einer Frauengestalt. Sie trägt in ihrer Hand eine Schale, aus der einst das Quellwasser sprudelte. Daneben, unter einem Pavillon, seht ihr den Tisch, von dem euch die Hüterin der Lebensströme erzählt hat. Nun geht, ihr Träger der Amulette. Der Schöpfer der vier Lebensströme sei mit euch!«
Die Gefährten ließen ihm noch etwas von der Lichtalbenmedizin zurück und verabschiedeten sich tränenreich von ihrem besten Freund in Gan, denn ein Freund war er ihnen wirklich geworden.
Schweren Herzens liefen sie durch die immer kümmerlicher aussehende Landschaft. Es hatte tatsächlich keinen Sinn mehr, sich unter Bäumen oder Büschen zu verstecken. Sie waren inzwischen alle so sehr vertrocknet, dass es ein Leichtes war, durch sie hindurchzublicken. Während des ganzen Weges sahen sie keinen Schwarzalb. Sie hofften bereits, ungeschoren ihr Ziel erreichen zu können. Vielleicht hatte der verletzte Schwarzalb es nicht mehr geschafft, seine Botschaft von der Flucht der Gefährten zu überbringen?
»Da vorne hört der Wald auf«, rief Chika. »Ob wir da gleich die Lichtung mit der Statue sehen?« Alle vier rannten los, blieben aber abrupt beim letzten Baum stehen. Die Landschaft, die sich vor ihren Augen erstreckte, war zwar verdorrt und ausgestorben, aber immer noch von erstaunlicher Anmut. Die Lichtung war kreisförmig und schien mehrere Hundert Meter zu messen. In der Mitte befand sich die kleine Anhöhe mit einer großen, majestätisch wirkenden Statue. Sie war aus einem leuchtend weißen Stein gehauen und stellte eine Frau mit einem langen Kleid dar. Ihre Haare waren hochgesteckt und ihre Augen nach oben gerichtet. Ihre
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