Das Amulett von Gan (German Edition)
linke Hand hielt sie mit nach oben geöffneter Handfläche ausgestreckt in die Höhe, als ob sie von dort etwas empfangen würde, und in ihrer rechten hielt sie eine große Schale. Unterhalb der Schale begannen vier Kanäle, die wie die Pfeile auf einem Kompass in die vier Himmelsrichtungen zeigten und im angrenzenden Wald verschwanden. Von hier aus ergoss sich einst das Leben spendende Wasser der Quelle in alle Ecken des Landes Gan.
Der Pavillon unterhalb der Statue war ebenfalls aus weißem Stein erbaut. Seine filigranen Säulen und das leicht geschwungene Dach wirkten auf die Entfernung geradezu zerbrechlich. Darunter standen der Tisch und die vier Stühle, die genauso aussahen wie ihre Gegenstücke in dem Haus, in dem sie in Gan angekommen waren. Wären das Gras und die Bäume grün gewesen und das Wasser aus der Quelle geflossen, hätte es vermutlich keinen schöneren und friedlicheren Anblick gegeben. Nun aberwirkte alles furchtbar gespenstisch, denn von Leben war hier keine Spur mehr.
»Wir dürfen keine Zeit verlieren«, mahnte Joe. »Vielleicht schaffen wir es tatsächlich, vor den Schwarzalben zu dem Tisch zu kommen.« Die vier Gefährten holten tief Luft, schauten sich ernst in die Augen und rannten gemeinsam los, immer geradeaus auf den Pavillon zu. Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto stärker wurde ihre Hoffnung, das Ziel ihres Abenteuers wirklich erreichen zu können. Gleich würden sie die Amulette in den Tisch legen und Gan, ja die ganze Welt damit retten. Das Leben auf der Erde bliebe in seiner Schönheit erhalten. Es käme nicht zur Herrschaft der Schwarzalben.
Anfangs bemerkten sie noch nicht die Schatten neben der Statue; das gleißende Sonnenlicht stach ihnen zu sehr in die Augen. Erst beim Näherkommen wurde für sie sichtbar, was sich da direkt vor ihnen abspielte: Links und rechts neben der Statue bewegte sich etwas. Die Schritte der Gefährten wurden langsamer, und sie erkannten die dunklen Gestalten, die nun hinter der Statue hervortraten. Es waren Schwarzalben. Jeder von ihnen hielt eine Lanze in der Hand. In ihrer Mitte, direkt vor der Statue, stellte sich ein großer Mann mit langen Haaren auf. Gekleidet war er in ein bis zum Boden reichendes schwarzes Gewand. Seine Haut und sein Haar waren seltsam fleckig, größtenteils dunkel, ja fast schwarz, aber an manchen Stellen war die Haut ganz hell, nahezu weiß. Die Augenfarbe des Mannes war dunkel. Finster schaute er auf die Träger der Amulette herab. Seine Zunge bewegte sich hektisch hin und her, ganz ähnlich wie die hässlichen schlangenförmigen, roten Zungen der Schwarzalben, die immerzu züngelten. Die vier Freunde blieben abrupt stehen. Was sollten sie nun tun? Gänzlich ungeschützt standen sie auf dem riesigen Platz vor der Statue, und nicht weit vor ihnen stand Harah, der Zerstörer, der Gebieter der Schwarzalben. Wer sonst sollte es sein?
Finn, Pendo und Chika überlegten schon, ob sie nun aufgeben sollten, als Joe sein Schwert zog. Er würde kämpfen, egal, wasjetzt passierte. Das war ihm klar. Da begann Harah, laut zu lachen. Es war ein böses, triumphierendes Lachen. Wer sollte ihn noch daran hindern, die Herrschaft über Gan, ja über die ganze Welt anzutreten? Dieser kleine Junge wohl kaum.
»Habt ihr wirklich geglaubt, mich schlagen zu können?« Harahs Stimme klang tief und voll, fast schön. Aber hinter dem schönen Klang spürten die Gefährten den ganzen Hass dieser seltsamen Gestalt. »Ihr jämmerlichen Menschenkinder wollt Harah besiegen? Mit ein paar Lichtalbenwaffen? Da habt ihr euch aber getäuscht. Ich, Harah, bin der Stärkere. Ich habe die Macht über die Welt in meinen Händen.«
Die Gefährten hatten keine Idee, wie sie nun reagieren sollten.
»Gebt mir die Amulette. Los!«, herrschte Harah sie an, »Und dann kniet vor mir nieder.«
Die vier fassten erschreckt an ihre Amulette. Nein, niemals würden sie diese kampflos übergeben. So lange sie die Amulette bei sich trugen, gab es immer noch Hoffnung.
Auch Finn, Pendo und Chika zogen nun ihre Schwerter und schrien gemeinsam mit Joe: »NIEMALS!«, und schauten ihrem Feind direkt in die Augen.
Für Harah und die Schwarzalben hätte wohl nichts komischer sein können. Die Menschenkinder hatten offensichtlich keine Chance. Nichts war leichter, als ihnen die Amulette abzunehmen. Eine Gruppe von Schwarzalben setze sich dann auch gleich in Bewegung und marschierte mit ihrem tänzelnden Gang, über den man unter anderen Umständen wohl laut gelacht hätte,
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