Das Amulett von Gan (German Edition)
Aber bestimmt der Spiegel! Chika, hole ihn doch mal heraus«, sagte Pendo.
Aber es ging Chika wie schon das letzte Mal, als sie den Spiegelum Rat fragte. »Nichts, ich kann wirklich nichts sehen. Ich vermute, dass er uns nur Auswege zeigen kann, die für das menschliche Auge zwar verborgen, aber eigentlich schon da sind. In der letzten Höhle hatte er mir ja den Weg gezeigt und die Stelle, auf die ich meine Hand legen musste. Aber eine solche Stelle gibt es hier wohl nicht. Schade.«
»Dann bleibt nur noch die Feder des silbernen Pelikans Äbrah«, sagte Finn hoffnungsvoll. »Ich dachte schon, sie würde auf unserem Weg gar nicht mehr gebraucht werden.« Er griff in seine Tasche und holte das goldene Etui heraus, öffnete es und nahm ehrfürchtig die wunderschöne silberne Feder in die Hand. Mehrere Minuten streckte er sie in die Höhe, alle schauten gebannt um sich, aber es wollte einfach nichts geschehen. Die erwartete Hilfe kam nicht.
»Die Feder ist wohl nicht der richtige Weg, um hier herauszukommen«, stellte er enttäuscht fest und verstaute sie wieder in seiner Tasche. »Nebijah meinte, ich solle sie in größter Not nach oben halten, dann würde Hilfe kommen. Entweder sind wir noch nicht in größter Not oder sie funktioniert nicht.«
»Wir haben aber sonst nichts«, sagte Chika. »Mit den Schwertern und mit Pfeil und Bogen werden wir ja wohl nicht auf die Felsen einschlagen wollen.«
»Wie schade! Da habe ich mich wohl zu früh gefreut«, meinte Alon und verschränkte enttäuscht die Arme.
Schweigend saßen sie in der Höhle. Es blieb ihnen gar nichts anderes übrig, als auf Harah, den Zerstörer, zu warten. Wie hatten sich die Schwarzalben gefreut, ihrem bösen Herrn die Nachricht überbringen zu können! Was würde dieser Harah wohl mit ihnen machen? Egal, ob er ihnen nur die Amulette wegnehmen würde oder sogar jemanden töten, das Ergebnis wäre dasselbe: Gan würde für immer zerstört – und damit auch die Welt der Kinder … Angst machte sich erneut in den Herzen der Gefährten breit. Selbst Alon wusste keinen Rat mehr und schaute schweigend gegen die Wand. Es musste doch irgendwie möglichsein, das Blatt noch einmal zu wenden und aus dieser Höhle herauszukommen!
In Finns Kopf begannen sich die Ereignisse der letzten Tage zu sortieren. So vieles war in dieser kurzen Zeit geschehen. Gab es irgendetwas, was er bekommen oder gehört hatte, das ihnen jetzt nützlich sein könnte? Er ging alle Gespräche durch, die sie mit Nebijah, mit Menschen, Bergmännchen, Lichtalben, Tieren und Waldgeistern geführt hatten. Dann erinnerte er sich an die Beschreibung des Landes Gan, die ihnen die Lichtalben gegeben hatten. Nebenbei hatten sie die sprechenden Tiere und magischen Gestalten erwähnt. Keiner hatte geglaubt, dass es sie noch geben würde, aber sie hatten einige von ihnen im Zauberwald kennengelernt. Auf einmal kam Finn eine Idee. Die Lichtalben hatten auch von der früheren Fähigkeit der Menschen erzählt, durch Wände zu gehen. Sie konnten es damals wohl genauso wie Bergmännchen und Lichtalben heute noch. Vielleicht würde es ihm ja gelingen? Zumindest schienen Menschsein und die Fähigkeit, durch Wände zu gelangen, in Gan kein Widerspruch zu sein. Er erinnerte sich an die Worte, die er in dem Buch der Lichtalben gelesen hatte. Dort wurde erklärt, wie sie es machten.
Finn wollte es zu gern ausprobieren, wagte es aber nicht, den anderen davon zu erzählen. Er stellte sich vor, wie vor allem Joe Witze über ihn machen und Alon den mitleidigen Blick des Erwachsenen auflegen würde, wenn ein Zwölfjähriger etwas vollkommen Verrücktes tun will. Deshalb ging Finn zur Höhlenwand und tat, als wolle er sich die Beine etwas vertreten. Schweigend schaute er vor sich und sehnte sich mit all seiner Kraft nichts mehr herbei als die rettende goldene Kugel. Tränen stiegen ihm vor Anstrengung in die Augen. Er hatte das Gefühl, vor Anspannung gleich ohnmächtig zu werden, als es auf einmal tatsächlich geschah: Vor seinen Augen entstand eine goldene Kugel, genauso, wie er es bei Alfrigg und Nebijah mehrere Male gesehen hatte. Er schloss die Augen und stand in Sekundenschnelle auf der anderen Seite der Wand im vorderen Teil der Höhle.
Finn war vollkommen durcheinander. Es war ihm tatsächlich gelungen! Er war auf der anderen Seite. Schnell schaute er sich um, ob ihm irgendwo ein Schwarzalb auflauerte. Da hörte er zwei zischende Stimmen vor dem Eingang der Höhle. Vorsichtig schlich er sich näher
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