Das Amulett
Auge fest und dehnte seinen Geist auf den weiteren Astralraum aus.
Einen Lidschlag lang zweifelte der Magier an seinem Vorhaben. Er konnte nicht sicher sein, dass Dezlot den Zauber genau wiederholt hatte. Schon allein, dass er diesmal mehr Energie gesammelt hatte, konnte das Ergebnis soweit verfälschen, dass ein Auffinden der alten Spur unmöglich wäre.
Als er bereits aufgeben wollte, entdeckte er das Bild eines Blitzes – schwach zwar, dennoch unverkennbar. Gordan konzentrierte sich auf diese Aura. Zuvor hatte er in seinem Schlafgemach ein magisches Licht entzündet, das ihm später als Wegweiser dienen würde. Gordan ließ seinen Geist zu dem schwachen Blitz wandern, öffnete seinen Körper für die Astralwelt. Raum und Zeit verloren jede Bedeutung. Er konnte bereits den Riss in den Dimensionen sehen, und sein Geist schlüpfte durch ihn hindurch. Kurz darauf folgte sein Körper, und der alte Magier stand nicht mehr in seinem Arbeitszimmer im Arkanum in Surdan, sondern viele Meilen entfernt in Malvners Turm.
Seine Augen brauchten eine Weile, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Ein kalter Wind schnitt ihm ins Gesicht. Zuerst glaubte er, auf den Zinnen des Turms gelandet zu sein, da sich der schwarze Nachthimmel endlos weit über ihm erhob, dann jedoch stellte er fest, dass dem Turm das Dach fehlte.
Als der Magier wieder klar sehen konnte, suchte er den verwüsteten Raum nach etwas Brennbarem ab, doch er fand nichts – weder Regale, noch Tische, Bücher oder Fläschchen für magische Tränke, rein gar nichts. Nur kalten, toten Stein.
Gordan rief sich Dezlots Beschreibung von Malvners Tod in Erinnerung. Ein anderer Magier hatte ihn überrascht und in einer Feuersbrunst verbrannt. Gordan erzeugte eine magische Lichtkugel, die er auf der linken Handfläche schweben ließ. Das schwache Licht war so kalt wie der Wind. Magische Leuchtzauber erzeugten keine Wärme, was die Wirkung des ohnehin trostlosen Ortes noch verstärkte. Gordan fühlte sich, als wandle er durch die eisige Totenwelt, als er sich auf die Suche nach Malvners Leichnam begab.
Mit Hilfe der magischen Beleuchtung vermochte Gordan, das Schicksal der fehlenden Decke nachzuvollziehen. Das Feuer, das Malvners Mörder entfacht haben musste, hatte die Holzkonstruktion verbrannt. Dort, wo man den großen Stützpfeiler in der Mitte des Raumes vermutet hätte, prangte ein schwarzer Fleck am Boden, daneben lagen einige zerbrochene Schindeln. Die meisten waren beim Aufschlag zersprungen, manche hatten den Sturz überstanden. Gordan räumte einige der Schindeln beiseite und erblickte die Reste der Dachbalken. Eine dicke Ascheschicht bedeckte den Boden darunter. Die freien Flächen des Raumes hatte der kalte Wind gesäubert.
Die Zerstörung war vollständig, und sie war jäh über den Turm gekommen, soviel konnte Gordan deutlich erkennen. Der Mörder hatte ein Feuer unvorstellbarer Kraft entfesselt, dem nur die Steine des Turms trotzen konnten.
Gordan schritt den Raum in einer Spirale ab, die ihren Anfangspunkt in der Mitte der Kammer hatte. Immer wieder räumte er Schindeln beiseite und hoffte, darunter einen Hinweis auf Malvners Verbleib zu entdecken.
Schließlich fand er den einstigen Freund – oder was noch von ihm übrig war. Von Ruß und Flammen geschwärzte Knochen lagen in einem kleinen Haufen aufeinander. Malvner war im Stehen gestorben – die Flammen hatten ihm schlagartig das Fleisch von den Knochen gebrannt. Der Schädel ruhte auf der Ansammlung wie auf einem grotesken Thron und starrte Gordan aus leeren Augenhöhlen an.
»Möge der Ewige deine Seele wohlbehalten in die nächste Welt geleiten, mein Freund«, flüsterte er in den pfeifenden Wind.
Allmählich fuhr ihm die Kälte in die alten Knochen, und so entschied Gordan, dass er nicht länger an jenem unwirklich anmutenden Ort verweilen wollte. Er könnte nun jederzeit hierher zurückzukehren, was er jedoch nicht vorhatte.
»Entschuldige, Malvner, dass ich euch trenne.« Damit packte Gordan den Schädel. Der verbrannte Knochen fühlte sich schwer und durch Ruß und Asche leicht mehlig an. Er fürchtete, er könnte in seiner Hand zu Staub zerfallen, doch nichts dergleichen geschah.
Das magische Licht in Gordans Hand erlosch, als er sich auf den Leuchtzauber konzentrierte, den er zuvor in Surdan gewirkt hatte. Wie ein Stern in dunkler Nacht strahlte seine eigene Aura ihm durch den Astralraum entgegen und wies ihm den Weg zurück.
Unter Umständen würde ihm Malvners Schädel etwas über
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