Das Amulett
schloss die Augen und öffnete seinen Geist der Berührung des verbrannten Knochens. Die feine Ascheschicht über dem glatten Schädel fühlte sich mehlig unter den Fingern an. Da das Feuer ihn nicht zerstört hatte, musste jenes Feuer nicht lange genug gebrannt haben, woraus er schloss, dass es magischer Natur gewesen sein musste. Gordan konzentrierte sich auf die Wirkung des Zaubers; Asche, Verbrennungen, Flammen, die Malvners Körper verschlangen.
Das Bild ekelte ihn an, doch er musste es sich so deutlich wie möglich vor Augen führen. Nur so bestand Hoffnung, die Aura des Mörders aufzuspüren. Gordan sah das Inferno, das im oberen Stock des Turms gewütet hatte. Das Bild schien vor seinem inneren Auge nun so lebendig, dass er die Hitze beinah spüren konnte. Er ließ seinen Geist einen Schritt weiter gehen und öffnete ihn der Astralwelt. Unzählige Eindrücke prasselten auf ihn nieder. Dezlots Zauber, dem er gefolgt war; seine eigenen Zauber, jene Xandors. Er sah Malvners Aura, die noch in Dezlot nachwirkte, seit der alte Magier ihn zu Gordan geschickt hatte, und Malvners Schutzzauber, die er über sich und den Turm ausgebreitet hatte.
Gordan war sich der Gefahr bewusst, der er sich aussetzte. Seinen Geist für die Astralwelt zu öffnen, machte ihn verwundbar für Angriffe anderer Magier. Viele mochten seine Aura nicht kennen, doch je häufiger er die elementaren Mächte anzapfte, desto größer wurde die Wahrscheinlichkeit, dass ihn jemand entdeckte. Seine Aura war stark und würde für zufällige Beobachter wie ein Leuchtfeuer wirken. Doch um Malvners willen musste er das Wagnis in Kauf nehmen.
Gordan suchte weiter, verfolgte Malvners Aura, bis er an den Punkt gelangte, an dem sie einfach verschwand und der im Gedächtnis der Astralwelt jenem entsprach, an dem Malvner den Tod gefunden hatte. Plötzlich spürte er neben Malverns sterbender Aura eine weitere, ihm unbekannte Kraft. Es gestaltete sich schwierig, sich auf diese Spur zu konzentrieren, denn sie war sehr schwach, kaum mehr als die unbeholfenen Versuche eines Lehrlings. Gordan bezweifelte, dass es die Kraft des Magiers sein konnte, der Malvner getötet hatte, doch es war seine einzige Spur. Er verfolgte sie noch etwas weiter durch die Astralwelt, bis sie sich in den unendlichen Weiten verlor. Es war unmöglich zu sagen, ob sie von Malvners Mörder stammte oder nicht.
Dennoch würde er ihr von nun an jede Nacht weiter nachgehen.
Surdan
Verträumt blickte Alynéa in das prasselnde Kaminfeuer, das die eisige Kälte des Winters aus dem Zimmer fern hielt. Ihre vorgetäuschte Flucht in die Arme des Grafen hatte ihr viele Annehmlichkeiten verschafft, auf die sie in den schmutzigen Gauklerzelten hatte verzichten müssen. Der Gedanke an ihre Zeit bei Tizirs Zirkus rief ihr auch das Bild Verrens ins Gedächtnis. Seit Tizirs Aufbruch harrte er in einer Spelunke aus und wartete auf Nachricht von ihr.
Der Graf war ihr beinahe hörig. Viel zu lange war er allein gewesen. An körperlicher Liebe dürfte es ihm nie gemangelt haben, das verriet Alynéa ihr gesunder Verstand und die vielen auffallend jungen Dienerinnen in Burg Totenfels.
Doch was dem Grafen wirklich fehlte, war das Gefühl echter Zuneigung. Sie ließ ihn gerne in dem Glauben, er könnte dies bei ihr finden.
Totenfels verblüffte sie stets aufs Neue, je mehr Einblick sie in seine Pläne erhielt. Du hast dich in eine Grube voller Löwen gewagt, Dergeron , dachte sie vergnügt. Und du ahnst nicht, dass du das Kaninchen bist.
Ein belustigtes Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als ihr einfiel, wie sie einen weiteren Löwen in die Grube stoßen konnte. »Verzeiht, Herr«, sprach sie den Grafen an, der ihr gegenüber in einem bequemen Polstersessel saß. »Mir ist aufgefallen, dass Eure Garde stets neue Soldaten rekrutiert. Hat man denn schon Cantas Verren verpflichtet?«
Totenfels blickte sie ein wenig überrascht an. »Kenne ich den Mann? Der Name klingt merkwürdig vertraut.«
»Er war Vorführmeister in Tizirs Zirkus«, erklärte sie. »Aber das sind nicht seine einzigen Fähigkeiten.«
»Ist er denn ein geübter Soldat?«
»Vielmehr ein Kämpfer, Herr. Dazu ausgebildet seine Herren zu beschützen – koste es, was es wolle.«
Totenfels verstand, worauf sie hinauswollte und nutzte den Umstand, dass Hagstad hinter ihm stand, um der Magierin ein viel sagendes Lächeln zu schenken. »Ein Leibwächter also. Hervorragend!«
Alynéa bemerkte, wie Hagstad zunehmend unruhiger wurde und
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