Das Amulett
Wink des Schicksals. Du hingegen hattest sehr wohl ein Ziel. Warum also hast du uns mitgenommen und nicht gewartet, bis wir den Weg über den Pass fortgesetzt hätten?«
Der Zwerg zuckte beiläufig die Achseln. »Ihr hättet den Pass vielleicht bezwungen, vielleicht auch nicht.«
»Das ist keine Antwort auf meine Frage.«
»Es tut mir Leid«, seufzte Khalldeg schließlich. »Ich wusste, was mich dort unten erwartet – zumindest zum Teil. Und ich hoffte, mit eurer Hilfe meine Aussichten auf ein Überleben zu erhöhen.«
»Und im Zweifelsfall wären wir für dich gestorben?«, hakte Tharador nach.
Khalldeg schwieg, doch eine weitere Antwort brauchte der Paladin nicht.
»Und nun?«, fragte Faeron nach einem bedrückenden Moment der Stille. »Willst du umkehren?«
Tharador schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, ich stehe zu meinem Wort.«
»Es tut mir Leid«, wiederholte Khalldeg zerknirscht.
»Du wolltest überleben«, sagte Tharador. »Dafür kann man niemanden verurteilen. Dergeron hat Queldan getötet, nicht du. Und wir sind dir aus freien Stücken gefolgt.«
»Heute würde ich mein Leben für dich geben, Junge«, sagte Khalldeg leise, die Stimme kaum mehr als ein Flüstern.
»Erzähl uns mehr darüber, was uns erwartet«, meldete sich Ul‘goth plötzlich zu Wort.
»Mmmh«, brummte Khalldeg. »Wir werden auf Höhe der fünften Ebene in die Feste Gulmar gelangen. Damals war sie völlig verlassen. Ich hoffe, das wird diesmal auch so sein. Vermutlich halten die Gnome sich nie über der Ebene des Thronsaals auf, der dritten. Sie sind nicht sonderlich zahlreich, müsst ihr wissen. Und die Schmieden befinden sich weiter unten.«
»Weißt du, wie viele Gnome es gibt?«, fragte Calissa.
Khalldeg schüttelte den Kopf. Dann blitzten weiße Zähne unter seinem schwarzen Bart hervor: »Genug, Schätzchen, mehr als genug.«
»Etwas verstehe ich nicht«, unterbrach ihn Faeron. »Wenn ihr Zwerge doch wisst, wo die Gnome sind, wieso versucht ihr dann nicht, die Feste zurückzuerobern?«
»Pah!«, schnaubte Khalldeg verächtlich. »Wir wollen die Feste gar nicht zurück! Die Erzadern im Inneren der Eisnadel sind um ein Vielfaches reicher als es die kargen Todfelsen je waren.«
»Dann verstehe ich es noch weniger.«
»Es geht um die Tilgung einer alten Schande, Elf«, erklärte der Zwerg. »Eine Schande, die sich der Zweitgeborene meiner Ahnenreihe auflud. Zur Zeit Gulmars III. erreichten uns die ersten Berichte über Zwerge, die ihre Brüder angriffen. So steht es im Buch der Geschichte, aus dem mir mein Vater als Kind vorlas. Gulmar sandte seinen Bruder Baldrokk aus, um der Sache auf den Grund zu gehen. Doch anstelle zurückzukehren, schloss sich der Narr den Gnomen an, wie die Brudermörder sich nannten, und wurde schließlich sogar ihr Anführer. Gulmar schwor einen Eid, dass alle ihm nachfolgenden Zweitgeborenen mit der Schande von Baldrokks Verrat behaftet seien und sie diese Schmach nur tilgen könnten, wenn sie sich dem Brudermörder im Kampf stellen. Mein Onkel Khulldrak scheiterte, und so liegt es nun an mir, die Tat zu sühnen.«
»Aber eure Schätze, eure Erinnerungen an alte Zeiten«, beharrte der Elf. »All das liegt doch noch in der Feste Gulmar, oder nicht?«
»Ihr Elfen seid sentimentale Spinner!«, lachte Khalldeg so laut, dass es in der gesamten Höhle widerhallte. »Wir haben alles von Wert mitgenommen, als wir die Feste verließen. Alles, was ein Zwerg braucht, sind seine Hände und seine Familie. Leben kann man überall, Elf. Wir haben uns ein neues, ein größeres und schöneres Zuhause gebaut.«
»Aber ihr habt ein anderes Versprechen gebrochen, als ihr geflohen seid«, überlegte Tharador laut.
»Ja«, gab Khalldeg zu. »Unsere Aufgabe um das Buch Karand . Vermutlich geriet sie mit Gulmar in Vergessenheit. Möglicherweise hielt er sie zu lange geheim. Hätten wir es damals geahnt, ich glaube, wir wären bis zum letzten Mann in den Minen gestorben.«
»Demnach geht es nur um Baldrokk und nicht alle Gnome?«, fragte Calissa verwundert.
»Nein«, antwortete der Zwerg bestimmt. »Sie sind alle Mörder, daran ändert sich nichts. Und ich werde keinem eine Träne nachweinen, dem ich die Kehle aufschlitze. Aber meine Aufgabe besteht darin, die Schuld meiner Familie zu tilgen, nicht die von anderen.«
»Also denkst du, dass sie seit unserem letzten Besuch keine Wachen in den oberen Ebenen aufgestellt haben?«, griff Tharador den vorigen Gedanken wieder auf.
Wieder schüttelte Khalldeg
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