Das Amulett
noch nie getan. Er betrat unmittelbar hinter den Gästen den Raum und setzte sich auf seinen angestammten Platz zur Linken von König Jorgans Sohn.
Prinz Vareth war ein junger, kräftig gebauter Mann. Eine lange Narbe zog sich schräg über seine Stirn, und seine Nase war mehrfach gebrochen, Zeugnisse des rauen Lebenswandels, dem der Prinz frönte. Er galt als leidenschaftlicher Seefahrer und genoss die Zeit auf den Weiten des Meeres mindestens ebenso wie die zünftigen Trinkgelage und Raufereien mit seinen Kameraden. Dennoch liebte das Volk seinen Prinz über alle Maße. Vareth war mutig und stand zu seinem Wort. Und durch jahrelangen Unterricht von den besten Schwertkämpfern des Landes beschränkte sich sein Kampfgeschick nicht nur auf seine Fäuste.
Die Sitzordnung würde bei der Klerikerin für Entrüstung sorgen, fürchtete Cordovan. Jorgan hatte Gordan an die gegenüberliegende Schmalseite des Tisches gesetzt, ganz so, als wäre der Magier ein dem König gleichgestellter Gast. Dezlot saß zu Gordans Linker, Cordovan selbst zur Rechten des alten Mannes. Phelynes Platz war neben Jorgan. Vermutlich hoffte der König, sie so besser kontrollieren zu können.
Unter den Klerikern war die junge Frau für ihre Hitzköpfigkeit bekannt, und nicht selten wurde hinter vorgehaltener Hand über sie getuschelt. Cordovans Befürchtungen sollten sich nicht bestätigen. Phelyne nahm anstandslos den ihr zugewiesenen Platz ein. Kurz darauf wurde das Essen aufgetragen. Es war ein vortreffliches Mahl. Jorgan verstand es, seine Gäste angemessen zu bewirten. Als die zweite Platte mit süßem Nachtisch aufgetragen wurde, musste Cordovan endgültig aufgeben. Es stand ihm ohnehin nicht zu, sich hemmungslos den Wanst vollzuschlagen. Sollte einer der Anwesenden tatsächlich einen Anschlag auf den König planen, konnte er sich Trägheit nicht erlauben.
Während des Mahls hatten sich alle sehr schweigsam verhalten, nur Prinz Vareth hatte von seiner letzten Reise zu den eisigen Küsten hoch droben im Norden berichtet. Alten Legenden zufolge befand sich irgendwo in der ewigen Eiswüste eine vergessene Stadt, die unvorstellbare Schätze beherbergte.
»Darunter könnten auch wertvolle Artefakte sein, Vater«, schloss Vareth seinen Bericht.
»Ich kenne die Stadt, von der Ihr sprecht«, meldete Gordan sich unvermittelt zu Wort. Alle Anwesenden richteten neugierige Blicke auf ihn. »Allerdings sollten ihre Schätze besser nie geborgen werden.«
»Weshalb nicht, Meister Gordan?«, fragte Jorgan.
»Euer Sohn spricht von der Verfluchten Stadt Xarntros. Vor vielen Tausend Jahren haben die Götter dort das Tetrament besiegt und die Herrschaft der Elemente über die übrigen Völker gebrochen.«
»Dann ist es ein heiliger Ort!«, warf Phelyne ein.
»Mitnichten«, entgegnete Gordan. »Xarntros ist auch der Ort, an dem Draganor die Götter verriet und das Volk der Drachen verfluchte.«
»Pah!«, spie die Frau ihm entgegen. »Für jeden gottgläubigen Menschen sollte klar sein, dass es sich bei Xarntros um einen heiligen Ort handelt.«
»Dass ich den Großteil meiner Kraft aus den Elementen beziehe, heißt nicht, dass ich nicht an die Götter glaube«, gab Gordan zurück. »Täte ich das nicht, hätte mich der Gottkönig Alirion wohl kaum in seinem Wald aufgenommen.«
Die Äußerung brachte alle am Tisch zum Schweigen.
Gordan gestattete sich ein spitzbübisches Grinsen, als er Phelynes wachsende Verunsicherung erkannte. Bisher hatte die junge Frau nur Schwarz und Weiß gekannt; es war an der Zeit ihr die vielen Zwischentöne zu zeigen.
»Weshalb seid Ihr hier?«, lenkte Jorgan das Gespräch in eine andere Richtung. »Ihr hättet auch weiterhin die Gastfreundschaft der Elfen in Anspruch nehmen können. Nach allen Gerüchten und Legenden ist Alirions Wald ein überaus beschaulicher Ort.«
»Ich brach meinen Pakt mit dem Elfengott, als ich Tharador vor Xandor rettete«, gab Gordan zu.
»Und um was für einen Pakt handelte es sich dabei?«, fragte Vareth leicht verärgert. Es gefiel dem Prinzen nicht, dass der alte Magier durch seine Äußerung seine bereits geplante Reise zum Scheitern verurteilte.
»Das ist eine lange Geschichte«, lachte der Magier. »Im Wesentlichen ging es dabei um meine Unsterblichkeit.«
Der König zog erstaunt eine Braue hoch. »Ein wahrhaft selbstloses Opfer. Findet Ihr nicht auch, Phelyne?«
Die Klerikerin schwieg. Sie wusste keine passende Erwiderung. Ein Magier, ein Elementarpaktierer, der seine Kraft aufgab, um
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