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Das Anastasia-Syndrom

Titel: Das Anastasia-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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sich dort bereits. Kameras klickten, und Touristengruppen lauschten gebannt dem dramati-schen Bericht über Leben und Tod des hingerichteten Königs.
    Lady Margaret hatte ihren Kranz bereits niedergelegt. Jetzt hörte sie spöttisch zu, wie ein bebrillter Zwölfjähriger mit verle-genem Stolz das Gedicht von Lionel Johnson zu rezitieren begann.
    Ein Polizist unter den Zuschauern lächelte über die ernsten Gesichter der Kinder. Die beiden, die den Kranz hielten, waren deutlich von ihrer Wichtigkeit durchdrungen. Sauber geschrubbt und strahlend, dachte er. Gut geschulte, wohlerzogene britische Kinder, die ihren geschundenen Monarchen ehren. Der Polizist warf einen Blick auf die Kränze, die bereits am Denkmalssockel lehnten. Seine Augen verengten sich. Rauch. Durch die Blumen-berge quoll langsam Rauch…
    »Zurücktreten!« brüllte er. »Alles zurück!« Er stürmte los, vor die aufgereihten Kinder. »Macht kehrt, lauft, was ihr könnt. Zu-rück, sag ich euch.« Verängstigt und konfus drehten sich die Kinder um, und der Kreis um die Statue verbreiterte sich. »Zu-rück, könnt ihr denn nicht hören?« brüllte er. »Schafft Platz!«
    Jetzt erkannten die Touristen, daß Gefahr bestand, und ergriffen die Flucht.
    Starr vor Wut sah Margaret zu, wie der Polizist die Kränze wegschob, das braune Päckchen hervorholte, das sie unter ihre Blumen gelegt hatte, und es auf den geräumten Platz schleuderte. Angstschreie verschmolzen mit der Detonation zu einem Inferno, als ein Splitterhagel auf die Menge niederprasselte.
    Während sie sich davonstahl, entdeckte Margaret, daß ein Tourist die Szene mit einer Videokamera aufzeichnete. Sie zog die Kapuze tiefer ins Gesicht und verschwand unter den zahlreichen Passanten, die herbei eilten, um den verletzten Kindern zu helfen. Von Big Ben ertönte das Mittagsläuten.
    Das Laufen kostete sie zuviel Zeit, fand Judith, als sie um 12
    Uhr 30 durch die Drehtür das Standesamt betrat. Zugegeben, sie hatte seit Tagesanbruch am Schreibtisch gesessen. Trotzdem hätte sie keine knappe Stunde für den Weg von der Wohnung bis hierher brauchen dürfen. Die Zeit wäre besser auf die Durch-sicht der Register zu verwenden gewesen.
    Es wurde immer schwieriger, Stephen zu verheimlichen, was sie tat. Anfangs hatte sie sein Interesse an ihren Recherchen entzückt. Jetzt, da sie Stunden im Standesamt und in der Bibliothek zubrachte, vertieft in die Berichte über die Luftangriffe auf London im Jahre 1942, wußte sie, daß ihre Antworten auf Stephens Fragen nach ihren Aktivitäten zu vage klangen. Überdies werde ich verdammt nachlässig, dachte sie. Irgendwie hatte sie zweihundert Pfund aus ihrer Geldbörse verloren.
    Auf dem bekannten Weg zu den Regalen fiel ihr plötzlich ein, daß sie schon wieder vergessen hatte, Fiona anzurufen. Wenn ich Pause mache, erledige ich das von hier aus, nahm sie sich vor.
    Sie vermied es geflissentlich, die mit »p« markierten Ordner durchzusehen, bis sie sicher war, daß sie in den Geburtenregi-stern für Mai 1942 jede nur denkbare Variante des Namens Marrish überprüft hatte.
    Eine ältere Frau machte ihr höflich Platz an dem dicht besetz-ten Tisch.
    »Ist das nicht grauenvoll?« fragte sie. Als Judith sie erstaunt ansah, fügte sie hinzu: »Vor einer halben Stunde hat jemand versucht, das Denkmal von Karl I. in die Luft zu jagen. Dutzende von Kindern wurden verletzt. Ohne den geistesgegenwärtigen Polizisten wären sie jetzt tot. Der hat den Rauch gesehen und sofort geschaltet. Hundsgemein, so was. Diese Terroristen ver-dienen wahrhaftig die Todesstrafe, das sollte sich das Parlament mal hinter die Ohren schreiben, sag ich Ihnen.«
    Erschrocken erkundigte sich Judith nach näheren Einzelhei-ten.
    »Ich war neulich erst da«, sagte sie. »Der Fremdenführer hat erwähnt, daß heute eine feierliche Kranzniederlegung stattfinden soll. Das müssen doch Verrückte sein, wenn sie dazu imstande sind.«
    Immer noch ungläubig den Kopf schüttelnd, nahm sie sich abermals die Vierteljahresbände für 1942 vor und konsultierte ihre Notizen. Sie dachte an die Bandaufzeichnung von Dr. Patel.
    Ich habe ganz deutlich »Mai« gesagt, überlegte sie. Mit »vier’n«
    konnte nur der Vierte gemeint sein. Aber vielleicht sollte es auch Vierzehnter oder Vierundzwanzigster heißen? Ich habe mich offensichtlich bemüht, »Rakete« zu sagen. Ihre Recherchen hatten ergeben, daß die erste Rakete am 13. Juni 1944
    London traf. Am 24. Juni schlug eine in der Nähe von Waterloo Station ein.

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