Das Anastasia-Syndrom
überflog mehrere Seiten, bis sie den Namen Parrish fand.
Parrish, Ann, Bezirk Knightsbridge; Parrish, Arnold, Bezirk Piccadilly. Und dann sah sie es.
Mädchenname
Bezirk
Band
Seite
der Mutter
Parrish
Mary
Travers
Kensing-
6B
32
Elizabeth
ton
Parrish! Kensington! Mein Gott, dachte sie. Sie legte den Zeige-finger auf diese Reihe und ging in Windeseile den Rest der Seite durch. Parrish, Norman, Bezirk Liverpool; Parrish, Peter, Bezirk Brighton; Parrish, Richard, Bezirk Chelsea; Parrish, Sarah Courtney, Mädchenname der Mutter Travers, Bezirk Kensington, Band 6B, Seite 32.
Judith wagte ihren Augen nicht zu trauen und raste zum Auskunftsschalter. »Was bedeutet das?«
Die Beamtin hatte ihr kleines Transistorradio auf dem Schreibtisch ganz leise gestellt und riß sich nur zögernd von den BBC-Nachrichten los. »Furchtbar, dieser Sprengstoffanschlag«, verkündete sie. Und nach einer Pause: »Entschuldigung. Was hatten Sie gefragt?«
Judith deutete auf die Namen Mary Elizabeth und Sarah Courtney Parrish. »Sie sind am gleichen Tag geboren. Der Mädchenname der Mutter ist bei beiden derselbe. Könnte es sich um Zwillinge handeln?«
»Es sieht ganz so aus. Und bei Zwillingen wird genauestens registriert, welcher zuerst geboren wurde. Das ist ja häufig aus-schlaggebend dafür, wer den Titel erbt. Möchten Sie die kom-pletten Geburtsurkunden erwerben?«
»Ja, selbstverständlich. Noch eine Frage. Ist Polly in England nicht ein Kosename für Mary?«
»Sehr oft. Meine Kusine, zum Beispiel. Für die Ausfertigung der Geburtsurkunden müssen Sie die entsprechenden Formulare ausfüllen und die Gebühren entrichten – für jede fünf Pfund, Sie können Ihnen zugeschickt werden.«
»Welche Angaben enthalten sie?«
»Eine ganze Menge. Geburtsdatum und -ort. Mädchenname der Mutter. Name und Beruf des Vaters. Adresse.«
Judith ging wie in Trance nach Hause. An einem Zeitungsstand sah sie die reißerischen Schlagzeilen über den Sprengstoffanschlag am Trafalgar Square. Die Titelseite war vollgepflastert mit Fotos von blutüberströmten Kindern. Angewidert von dem Anblick kaufte Judith die Zeitung und las sie, sobald sie zu Hause war. Wenigstens keine lebensgefährlichen Verletzungen, dachte sie. Das Blatt berichtete ausführlich über die stürmische Parlamentssitzung. Der Innenminister, Sir Stephen Hallett, hatte eine dramatische Rede gehalten: »Ich trete seit langem für die zwingende Notwendigkeit ein, für Terroristen die Todesstrafe wiedereinzuführen. Diese verabscheuenswerten Leute haben heute heimlich eine Sprengladung an einen Platz gelegt, von dem sie wußten, daß Schulkinder ihn aufsuchen würden. Wäre eines dieser Kinder getötet worden, müßten dann die Terroristen jetzt nicht um ihren Hals bangen? Teilt die Labour Party diese Ansicht, oder sollen wir diese Möchtegernmörder weiterhin mit Samthandschuhen anfassen?«
In einem anderen Artikel stand, daß es sich bei dem Sprengstoff um Gelatinedynamit gehandelt habe und daß eine großan-gelegte Untersuchung eingeleitet worden sei, um festzustellen, woher sich die Täter den Sprengstoff verschafft hatten.
Judith legte die Zeitung beiseite und sah auf die Uhr. Kurz vor sechs. Sie wußte, daß Stephen anrufen würde und es entschieden besser wäre, wenn sie ihm diesmal mitteilen könnte, sie habe sich mit Fiona in Verbindung gesetzt.
Fiona war viel zu interessiert an den Tagesereignissen, um sich über Judiths Versäumnis zu ärgern. »Ist das nicht grauenvoll, meine Liebe? Das Parlament ist total in Aufruhr. Die Todesstrafe wird garantiert ein Wahlkampfthema. Kann dem lieben Stephen nur nützen. Die Leute sind einfach schockiert. Armer alter König Karl. Ich nehme an, sie wollten sein Standbild komplett zertrümmern. Das wäre wirklich jammerschade gewesen.
Die hinreißendste Reiterstatue im ganzen Land. Da gibt’s andere, die von mir aus ruhig verschrottet werden könnten. Manche sehen mehr wie Droschkengäule aus und nicht wie königliche Reitpferde. Nun ja.«
Eine Viertelstunde später rief Stephen an. »Es wird heute abend sehr spät, Darling. Ich habe eine Besprechung mit dem Leiter von Scotland Yard und einigen seiner Leute.«
»Fiona hat mir von dem Aufruhr im Parlament erzählt. Haben irgendwelche Terroristen die Verantwortung für den Anschlag übernommen?«
»Bisher nicht. Deshalb habe ich ja die Besprechung mit Scotland Yard. Als Innenminister fallen Terroranschläge unter meine Zuständigkeit. Ich hatte gehofft, wenn wir als
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