Das andere Ende der Leine: Was unseren Umgang mit Hunden bestimmt (German Edition)
Welpen da und hätten in den Erziehungsstunden nicht mehr Spaß haben können. Sie kamen begeistert zu jeder Unterrichtsstunde, lachten über meine Witze (gepriesen seien sie), machten ihre Hausaufgaben und strahlten voller Liebe zu ihrem neuen Golden Retriever. »Ginger, komm!« sagte John, als er sie während einer Übungslektion zum Herkommen rief. Ginger hatte gerade entdeckt, dass auf einem nahestehenden Tisch Leberstückchen zur Belohnung lagen und zuckte nicht mit einem Ohr. »Hierher, Ginger,« wiederholte John, und endete mit »Komm schon. Gutes Mädchen. Komm her. Hierher.« Johns eifrige Mitteilungsversuche führten zwar zu Atemlosigkeit und zunehmender Frustration auf seiner Seite, konnten Ginger aber nicht davon überzeugen, die Leberstückchen auf dem Tisch in Ruhe zu lassen. Allerdings lernte sie, eine Menge interessanter Geräusche von ihrem unglücklichen Besitzer zu ignorieren. Wenn man kein Deutsch versteht, klingt »Ginger, komm« überhaupt nicht wie »Hierher«, aber Menschen scheinen nicht anders zu können, als möglichst viele verschiedene Worte für ein und dasselbe Kommando zu verwenden.
Das macht Sinn, wenn man näher darüber nachdenkt. Eines der beeindruckendsten Merkmale unserer Sprache ist ihre Flexibilität. Schauen Sie mal auf all die Möglichkeiten, mit denen wir ein und dasselbe sagen können. »Komm her«, »Hierher«, »Komm hier rüber«, »Komm zu mir«, »Hier«, »Hey, Ginger!« und so weiter und so fort. Diese Fülle an Worten ist ein Segen für uns und ein Fluch für unsere Hunde. Das Lernen einer Fremdsprache ist auch schon schwierig genug, ohne dass die Vokabeln sich jede Minute ändern. Wie würden Sie sich anstellen, wenn das fremde Wort, das Sie sich gerade zu merken versuchen, ständig zufällig seine Form verändert? Sie würden vermutlich tun, was viele unserer Hunde tun, nämlich einfach nicht mehr hinhören.
Fast jedes irgendwann einmal geschriebene Hundeerziehungsbuch rät, einfache Kommandoworte auszuwählen und diese konsequent zu gebrauchen – und fast jeder Hundebesitzer auf der Welt missachtet diese Regel andauernd. Wie kann bloß die intelligenteste Spezies auf der Welt so idiotisch sein, wenn es um eine so einfache Regel geht? Meiner Meinung nach gibt es dafür mindestens zwei Gründe. Erstens gebrauchen wir Menschen ständig Synonyme und es geht gegen unsere Natur, zu lernen, immer nur ein und dasselbe Wort für ein Kommando zu gebrauchen. Das Variieren von Worten hat große Vorteile: Es erlaubt uns feine Nuancen und eine Finesse, die uns bereichert. Aber was für eine Herausforderung muss es für die armen Hunde sein, in einer fremdem Kultur mit Gastgebern zu leben, die ständig verschiedene Bezeichnungen für die gleichen Dinge gebrauchen. Es ist ein pures Wunder, dass nicht alle unsere Hunde die Flucht ergreifen.
Ein zweiter Grund dafür, dass wir so unfähig sind, ein Wortkommando auszuwählen und dann auch dabei zu bleiben ist, dass fast alle Tierarten, von der einzelligen Amöbe bis zu komplizierten Säugetieren, ein »Habituation« (Gewöhnung) genanntes Verhalten veranschaulichen. Gewöhnung findet statt, wenn ein Organismus (oder sogar ein Einzeller) beginnt, etwas zu ignorieren, was ohne bedeutsame Folgen wieder und wieder geschieht. Man betrachtet dies als eine einfache Form des Lernens, die so gut wie alle Tiere zeigen. Sie ist der Grund dafür, warum Sie den Zug nicht mehr hören, wenn Sie ein paar Monate in der Nähe der Gleise gelebt haben. Wegen ihr können bedrängte Ehegatten erfolgreich ständiges Nörgeln ignorieren. Und sie kann auch der Grund dafür sein, warum Ihr Hund noch nicht einmal aufschaut, weil Sie zu oft »Hier« gerufen haben und dann hilflos weggingen, weil er ja doch nicht hörte. Der Hund lernte, dem Geräusch »Hier« nicht mehr Bedeutung beizumessen als dem Wind in den Bäumen, denn schließlich muss er seine Aufmerksamkeit ja auch auf bedeutsamere Geräusche konzentrieren wie zum Beispiel ein in die Auffahrt einbiegendes Auto oder das Klimpern des Schlüsselbundes.
Tiere können sogar unbewusst handeln, um Gewöhnung zu verhindern. Das könnte erklären, warum manche Vogelarten die Noten in ihrem Gesang variieren. Es könnte auch ein weiterer Grund dafür sein, warum menschliche Primaten so leicht von einem Wort auf das andere umschalten. Vielleicht, weil wir unbewusst die Verwendung eines Geräusches fallen lassen (besonders, wenn es nicht die erhoffte Wirkung zeigte) und ein anderes versuchen, um entweder
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