Das andere Ende der Leine: Was unseren Umgang mit Hunden bestimmt (German Edition)
verbessern, und solange die Begegnung zwischen ihr und einem fremden Hund unter meiner Aufsicht stattfand, konnte man sich im Beisein fremder Hunde auf Mist verlassen. Diese harte Arbeit wäre mir erspart geblieben, wenn ich damals gewusst hätte, was ich heute weiß. Genau wie Menschen brauchen Hunde die Begegnung mit vielen neuen Menschen und Hunden, um zu lernen, sich in Gegenwart Fremder wohl zu fühlen.
Im Grunde genommen müssen Hunde lernen, dass Fremde nichts Fremdes sind. Anderenfalls könnten sie wie die pelzige Version eines kauzigen Einsiedlers enden, der sich in seiner Hütte versteckt und Besucher mit einem aus dem Fenster zeigenden Gewehrlauf bedroht.
S OZIAL BIS AUF DIE K NOCHEN
Auch Menschen brauchen in ihrer Entwicklung sozialen Umgang, um zu ihrem normalen Selbst zu finden. Genau wie von anderen isolierte Laboraffen beginnen auch Menschenbabys, die von Beginn an keinen engen Körperkontakt und keine soziale Interaktion mit Erwachsenen haben, sich mit dem Älterwerden selbst zu umarmen und vor- und zurückzuschaukeln. Falls sie es schaffen, erwachsen zu werden, sind die meisten von ihnen nie in der Lage, Mitgefühl für andere zu zeigen oder später im Leben Beziehungen mit Bedeutung aufzubauen.
Wenn wir aber normal aufwachsen, sind wir Menschen die Anti-Einsiedler der Tierwelt. Ständig suchen wir Gesellschaft und sozialen Umgang. Manche von uns mögen mehr Privatsphäre brauchen als andere und wir mögen von zu vielen Menschen oder zu vielen Telefonanrufen übersättigt sein, aber selten suchen wir die Einsamkeit für lange Zeit. Die schlimmste Form der Gefängnisstrafe ist bezeichnenderweise Isolationshaft. Sich schlecht benehmende Kinder bestrafen wir heute mit »Auszeiten«, aber diese Idee ist nicht neu. In England wurden Kinder zur Strafe »nach Coventry geschickt«, was bedeutete, dass sie von der sozialen Gemeinschaft ausgeschlossen wurden.
»Ächten« wird in der ganzen Welt als Strafe für unangemessenes Verhalten verwendet. In manchen Kulturen werden sogar ganze Familien für die sozialen Vergehen eines ihrer Verwandten geächtet. Die Cheyenne-Indianer verbannten ganze Familien, in einem Fall eine Familie wegen der Verletzung gesellschaftlicher Regeln eines ihrer Mitglieder, obwohl alle Familienmitglieder in einem Kampf ihr Leben riskiert und viele Feinde getötet hatten. Aber trotz ihrer Tapferkeit weigerte der Stammesrat sich, ihre Handlungen anzuerkennen oder zu belohnen. Weil sie verbannt waren, existierten sie folglich nicht, und sie nicht wahrzunehmen wurde als die schlimmste aller möglichen Strafen angesehen, schlimmer noch als Tod oder körperliche Qualen.
Erzwungene Einsamkeit als extreme Bestrafung ist ein exzellentes Beispiel dafür, wie wichtig sozialer Umgang für unsere Spezies ist. Wäre dem nicht so, wäre der Verlust nicht so schmerzhaft. Diese Abhängigkeit von Geselligkeit ist nicht für alle Tiere charakteristisch. Viele Tiere, vom Grizzlybär bis zum Tiger, leben als Erwachsene ein einsames Leben. Wesentlich mehr Spezies, wie manche Fische und Schmetterlinge, verbringen viel Zeit in Gruppen, was aber noch nicht heißt, dass sie auch viel soziale Interaktion pflegen. Schmetterlinge zum Beispiel versammeln sich rund um eine wertvolle Ressource wie zum Beispiel die Mineralien in der Pfütze auf einem Kiesweg, aber sie werden von den gleichen Bedürfnissen angezogen, nicht, weil sie mit Artgenossen zusammen sein möchten.
Die verschiedenen Primatenarten, eine ansonsten bemerkenswert variierende Gruppe, teilen sich alle das hohe Maß an Geselligkeit. Die sozialen Beziehungen unter Primaten sind meist komplex und variieren in Vertrautheit und Intensität zu den verschiedenen Individuen. Männliche Schimpansen haben so starke soziale Bindungen, dass kein erwachsenes Männchen ohne die Koalition anderer Männchen zu seiner Unterstützung Dominanz erringen oder behalten kann. Frans de Waal nannte sein Buch über diese Koalitionen aus gutem Grund Schimpansenpolitik: Nach Status strebende männliche Schimpansen spielen ein kompliziertes Spiel des Einschmeichelns mit den Unterhändlern der Macht und spekulieren gleichzeitig ständig auf die Möglichkeit, eine andere Gruppe zu übernehmen. Manche Individuen geben ihr Bestes, beide Spiele gleich gut zu spielen, sie bleiben in den Gunsten der Machthaber, sind aber jederzeit bereit, die Reihen zu wechseln, wenn dies ihren Interessen nutzt. Wenn ein Schimpanse ins Parlament gewählt würde, hätte er zwar Schwierigkeiten mit
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