Das andere Ufer der Nacht
Mittelpunkt!
Sie sollte für alles büßen, und sie ließ es zu, dass sie von den Geistern eingekreist wurde.
Auch Viviana hatte alles genau mitbekommen. Auf ihrem Gesicht las ich die Gefühle, die sie durchtosten. Sie wollte reden, setzte an, sie konnte es nicht. Zu schlimm war das, was sie zu sehen bekam. Es war ihre Mutter, die Frau, die sie ein Leben lang begleitet hatte. Nun sollte sie für diejenigen in den Tod gehen, die sie nicht einmal gekannt hatte. Furchtbar…
Für Viviana war es am schlimmsten, denn man wollte ihr das langsame Sterben der Frau zeigen. Sie fasste mich an. Ihre Hände waren kalt geworden, obwohl sie schwitzte. »John, wir müssen etwas tun. Wir können doch nicht zuschauen, wie sie meine Mutter töten.«
»Das meine ich auch.«
»Dann lass uns…«
Wir hörten einen fernen Schrei. Senora Marquez hatte ihn ausgestoßen. Was mit ihr geschehen war, konnten wir nicht erkennen, jedenfalls musste sie die erste Strafe erhalten haben. Irgend jemand aus der Geisterschar hatte sich nicht mehr beherrschen können.
»Schneller, John!« drängte das Mädchen. »Lassen Sie uns…«
Ich wusste Bescheid. Nur war es nicht so einfach in dieser Welt, von einem Ziel an das andere zu gelangen. Ich versuchte es, hielt Viviana auch fest, damit wir uns gegenseitig unterstützten, doch es hatte keinen Sinn. Die Kräfte in dieser Welt waren einfach zu stark.
»Kann man denn gar nichts tun?« fragte Viviana verzweifelt.
Ich überlegte, und ich dachte dabei lange nach. »Doch, ich glaube, dass ich etwas tun kann.«
»Und was?«
Ich streifte die Kette mit dem Kreuz über den Kopf. »Ich werde es mit Magie versuchen.«
Zu einer weiteren Frage oder Bemerkung ließ ich Viviana nicht erst kommen, denn ich rief die Formel, die mein Kreuz aktivierte…
***
Sie hatten die Frau! Endlich war es ihnen gelungen, die letzte in der Ahnenfolge zu finden. Die Tochter, die noch hinter ihr kam, interessierte sie nicht. Wichtig allein war die Mutter.
Sie war freiwillig gekommen und wurde gleich von den schrecklichen Gestalten in die Mitte genommen. Sie zeigten ihr die gefolterten Körper, ließen sie in die offenen Wunden schauen und taten ihr noch nichts. Sie sollte nur den Schrecken erleben, den jeder mitbekam, der die Welt der Geister betrat, denn durch geheimnisvolle Kräfte wurde an seinem Gewissen so stark gerüttelt, dass sich der Eindringling selbst für die Taten schuldig fühlte, die er nicht begangen hatte. So erging es auch der Senora. Es kam über sie mit der Wucht eines Sturms. Die Gefühle peitschten in ihrem Körper hoch. Eine furchtbare Angst hielt sie umklammert. Ihr Kopf war angefüllt mit brausenden Stimmen, und aus jedem Satz, den man ihr sagte, klang ein Vorwurf.
»Deine Familie war es, die uns zerstört und getötet hat. Deine Familie allein. Sie folgten dem Rat des Königs, aber wir werden uns rächen. Du sollst ebenfalls deine menschliche Existenz erleben, du sollst verdammt sein in alle Ewigkeiten. Du wirst die Person werden, vor der sich die Menschen so fürchten, wie wir uns damals vor den Schergen des Königs gefürchtet haben. Nie sollst du Ruhe finden. Verflucht sein bis in alle Ewigkeiten, das haben wir uns versprochen. Unsere Rache wird schlimmer sein als Folter. Wir geben dich zurück in das Leben, in das ewige Leben der Verdammnis, wie jemanden, der keine Ruhe im Grab findet. Und du wirst zu einer werden, die den Knechten des Bösen in nichts nachsteht. Der Tod wird dich treffen, und du wirst trotzdem leben!«
Wer diese Worte gesprochen hatte, war für die Frau nicht zu erkennen. Alle redeten, alle wollten das gleiche von ihr, und sie sah, wie der Kreis kleiner wurde.
Plötzlich waren die Gesichter noch größer, noch näher und auch viel schrecklicher. Sie tanzten vor ihr auf und nieder, bildeten einen gewaltigen Wirbel, der auf sie niederstürzen und sie vernichten würde. Dann waren sie da. Blitzschnell, eine kompakte Masse aus geisterhaften Gesichtern und Körpern. Reine Energie, die gegen die Frau schlug und ihr so furchtbare Qualen beibrachte, dass sie einen gellenden Schrei einfach nicht mehr unterdrücken konnte.
Sie brüllte verzweifelt, spürte, wie das Leben aus ihrem Körper wich, wurde nur von Stimmen umgeben und konnte plötzlich nichts mehr sehen.
»Ewiges, verfluchtes Leben!« Es waren die letzten Worte, die sie noch vernahm. Von diesem Moment an wusste sie nichts mehr, und die Welt um sie herum explodierte in einem wahren Rausch…
***
Dafür trug ich die
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