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Das andere Ufer der Nacht

Das andere Ufer der Nacht

Titel: Das andere Ufer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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suchte mir einen anderen Platz, wo ich die Zeit verbringen wollte.
    Langsam schritt ich durch den großen, Raum. Meine Schritte dämpfte ein Teppich fast bis zur Geräuschlosigkeit. Ich sah den alten Schrank, der sich als kompakter Schatten von der Wand abhob, ging auch an einer Kommode vorbei und sah eine schmale Nische, die dem Bett schräg gegenüberstand. In ihr musste an der Wand mal etwas gehangen haben. Jetzt sah ich dort nur einen hellen Fleck.
    Ich stellte mich in die Nische. Die Zeit des Wartens begann. Ich ließ meinen Blick nicht von der Gestalt des Mädchens. Auf der breiten Liegestatt machte sie auf mich einen irgendwie verlorenen Eindruck. Sie lag da hatte den Kopf leicht gedreht, schaute durch das Fenster, während der Mond seinen silbernen Schleier um sie legte. So wartete sie.
    Würde die Frau kommen? Ich setzte darauf, obwohl es durchaus möglich war, dass sie sich zuerst ein anderes Opfer vornahm. Minuten verstrichen. Kaum etwas war zu hören. Nur wenn sich Viviana bewegte, raschelte der Stoff oder knarrte hin und wieder die Unterlage. Ich vernahm meinen eigenen Atem, machte eine kurze Atempause und fühlte mich überhaupt nicht aufgeregt.
    Ab und zu warf ich einen Blick auf die Uhr. Der kleine Zeiger näherte sich der dritten Morgenstunde. Wir hatten August, bis zur Dämmerung würde nicht mehr viel Zeit vergehen.
    Mit jeder Minute, die verstrich, stieg auch meine Spannung. Wenn in diesem Raum etwas passieren sollte, musste es bald geschehen. Vom Gang her hörte ich auch keine Geräusche. Bill und Suko hielten sich zurück. Manchmal hatte ich das Gefühl, die Augen schließen zu müssen, dann riss ich mich wieder zusammen und wurde auch wach. Viviana schlief ebenfalls nicht. Ziemlich oft rollte sie sich herum. Einige Male sprach sie auch. Verstehen konnte ich nichts, die Distanz zwischen uns war für die geflüsterten Worte einfach zu groß. Plötzlich richtete sich die junge Spanierin auf. Sie hatte dabei ihre Arme nach hinten gedrückt, stützte sich auf beide Fäuste und schaute starr nach vorn in einer Haltung, die ihre innere Spannung verriet. Hatte sie etwas gesehen?
    Mir war nichts aufgefallen, doch das musste nichts heißen. Ich sprach sie nicht an, wartete ab und hörte dann ihre Stimme. »Mutter«, flüsterte sie so laut, dass auch ich sie verstehen konnte. »Mutter, bist du da?«
    Eine Antwort bekam sie nicht. Noch einmal versuchte sie es. »Mutter, ich rufe dich. Bitte, sag etwas! Bist du da?«
    »Ja, ich komme…«
    Das war genau die Antwort gewesen, auf die auch ich gewartet hatte. Nur konnte ich niemanden sehen. Das Mädchen hockte nach wie vor in seinem Bett.
    Wo steckte die Senora? Während meine Blicke den Raum durchirrten, hörte ich das heftige Atmen des Mädchens. Ich entdeckte keinen Schatten, keine Gestalt, kein feinstoffliches Wesen, bis ich Vivianas Ruf vernahm. »Da bist du ja!«
    Jetzt sah ich sie auch. Die Gestalt schwebte von außen an der Scheibe. Sie stand in der Luft, ein Geist, eine gespenstische Erscheinung, feinstofflich wie die Wesen, die ich in der anderen Dimension erlebt hatte. Für diese Geistgestalten bildeten auch Mauern kein Hindernis. Sie konnten alles durchdringen.
    Noch schwebte sie vor der Scheibe, dann war die Gestalt im Raum, und ich hatte kaum gesehen, dass sie sich in Bewegung setzte. Am Fußende und über dem Bett blieb sie schweben, um ihren Kopf zu senken und auf ihre Tochter zu schauen.
    »Ich bin gekommen, Viviana, aber ich gehöre nicht mehr zu euch Menschen. Ich habe das andere Ufer der Nacht betreten und bin zu einer der ihren geworden. Sie sind zerstört, ich aber lebe als Geist weiter und werde mich in ihrem Sinne rächen. Ein Fluch hat mich getroffen, den ich erfüllen muss. Ich werde morden, ich muss es tun, der Fluch lässt mir keine andere Wahl. Mit Roman fing ich an, aber mit dir, Tochter, setze ich den blutigen Reigen fort.«
    Sie ließ Viviana gar nicht dazu kommen, irgendeine Frage zu stellen. Aus dem Stand glitt sie zur Seite, ein Arm löste sich aus der senkrechten Haltung, wurde angehoben, und eine bleiche, fast durchsichtige Hand griff nach einem in der Nähe stehenden Kerzenständer.
    »Damit werde ich dich erschlagen, Tochter!« sagte sie und hob den Arm noch höher.
    »Das genau wirst du nicht!« Meine harte Stimme zerschnitt die Stille des Raumes. Jeder musste die Worte vernommen haben, natürlich auch die Frau, die sich so verändert zeigte und kein Mensch mehr war. Ich hatte die Nische verlassen. In der Hand hielt ich

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