Das andere Ufer der Nacht
mein Kreuz, weil ich mir sicher war, dass ich nur mit dieser »Waffe« etwas gegen die Geistgestalt ausrichten konnte.
Sie drehte sich um. Die erste Gefahr für das Mädchen war gebannt, da Viviana jetzt auf den Rücken ihrer Mutter blickte. Ich aber sah sie an. Ein bleiches, hohlwangiges Geistergesicht wurde mir präsentiert. Völlig blutleer, von Furchen durchzogen, mit blassen Augen, die trotz allem auf mich irgendwie traurig wirkten. Sie besaß noch die gleiche Gestalt wie als Mensch, nur waren ihre Haare nicht mehr zu erkennen. Sie bildeten mit dem Kopf eine Einheit aus einer grauen und silbernen Masse.
Ich hatte das Kreuz bisher so gehalten, dass es vor meinen nach unten gesenkten und zusammengelegter Fingern verdeckt wurde. Nun, als ich vor dem Fußende des Bettes stand, hob ich die vier Finger in die Höhe, so dass mein Kreuz frei lag.
Sie schaute darauf. Erschrecken zeigte ihr Gesicht, denn sie wusste genau Bescheid. Dennoch wiederholte ich es. »Dieses Kreuz hat die Welt, aus der du kommst, vernichtet. Es wird auch dich töten, denn der Fluch, der über dich ausgesprochen wurde, soll gelöscht werden. Ein für allemal!«
Sie hörte meine Worte und wusste, dass ihr nur noch eine kleine Chance blieb. Deshalb wollte sie den Leuchter auf mich schleudern. Ich war schneller und warf das Kreuz! Es wurde ein Volltreffer. In die Gestalt jagte es hinein, wobei ich für einen Moment die Befürchtung hatte, dass es hindurchfliegen würde, aber es stoppte. Die Reaktion war für Senora Marquez furchtbar. Nicht nur sie schrie, als sich der Körper in die Länge zog und in zahlreiche Nebelstreifen auflöste, auch Viviana konnte nicht an sich halten und brüllte ihre Not hinaus.
Schwer fiel der Leuchter auf das Bett, wo er keinen Schaden mehr anrichtete.
Die Senora wurde durch die Kraft des Kreuzes vernichtet. Von dem feinstofflichen Körper blieb nichts anderes mehr zurück als ein Mensch, der in und von der Erinnerung lebte. Ich hatte das Gefühl, als wäre die Luft in dem großen Raum besser geworden, ging auf das Bett zu, in dem die weinende Viviana saß, und nahm das Kreuz an mich. Wie gut konnte ich sie verstehen! Was immer auch vorgefallen war, es hatte sich bei dieser Person um ihre Mutter gehandelt. Man musste das Mädchen jetzt in Ruhe lassen. Ich öffnete die Tür und sah Suko im Gang stehen. Auch Bill wartete. Beide eilten herbei, als sie meinen Schatten sahen.
»Alles klar?« fragte der Reporter.
»Ja, der Fluch ist gelöscht worden.«
»Gratuliere, John.«
Ich hob die Schulter. »Lass mal, auf so etwas oder auf eine Feier habe ich jetzt keinen Bock mehr.«
»Das kann ich verstehen«, meldete sich Suko.
Gemeinsam gingen wir zu Viviana Marquez zurück. Sie hatte sich noch nicht beruhigt, und wir erklärten ihr noch einmal, dass sie nichts mehr zu befürchten hatte.
»Ja, ich habe es erlebt, und ich will dieses verdammte Schloss nicht mehr haben. Auf keinen Fall mehr.« Sie schüttelte sich. »Vielleicht lasse ich es abbrennen.« Dann rannte sie hinaus.
»Willst du es nicht kaufen?« fragte ich meinen Freund Bill.
»Nein, danke, mir reichen meine Türschlösser zu Hause.«
So eine Antwort konnte auch nur von Bill Conolly kommen. Ein vernünftiger Mensch hätte das nicht gesagt…
ENDE
[1] Siehe John Sinclair Taschenbuch Nr. 73 055 »Drei Gräber bis Atlantis«
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