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Das andere Ufer der Nacht

Das andere Ufer der Nacht

Titel: Das andere Ufer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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mehr länger warten wollte und auf eine Entscheidung drängte. »Wir gehen.«
    Im gleichen Augenblick geschah etwas anderes. Es begann mit der Senora, die sich plötzlich drehte, dann in die Knie sank und mit dem Kopf schüttelte. Dabei verzog sich ihr Gesicht schmerzgepeinigt, und sie ballte die Hände zu Fäusten.
    »Was haben Sie?« fragte Bill besorgt.
    »Die Stimmen«, flüsterte die Frau. »Ich hörte die Stimmen. Sie sind da, sie haben mich gerufen!«
    Bill und Suko schauten sich um. »Welche Stimmen? Wir hören keine.«
    »Aber ich.« Das Gesicht der Frau nahm einen noch gequälteren Ausdruck an. »Ich höre sie genau, sie rufen mich. Sie wollen, dass ich zu ihnen komme. Sie haben auf mich gewartet. Ich bin eine Marquez. Die Geister warten auf uns, wir haben zu büßen…«
    »Und jetzt?«
    »Kann ich nicht mehr zurück«, ächzte die Spanierin. »Mein Leben ist vorbei. Ich existiere noch, bin aber bereits tot.«
    Die Männer glaubten ihr. »Kennen Sie die Stimmen?« fragte Suko. »Ist es Ihre Tochter, die ruft?«
    »Ja.«
    »Was sagt sie? Wo befindet sie sich?«
    »Im Jenseits. Aber es ist groß, zu groß. Man verliert den Überblick. Die anderen haben sie geholt. Sie soll leiden. Sie soll für mich leiden. Nein, das nicht!«
    Plötzlich schüttelte die Frau den Kopf. Irgendwie machte sie plötzlich einen entschlossenen Eindruck, als hätte sie sich zu etwas durchgerungen, von dem sie zuvor nichts gehalten hatte. Ihre Begleiter wussten, dass es schwierig werden würde. Aber sie hatten nicht mit dieser plötzlichen Reaktion der Frau gerechnet. Als hätte ihr jemand einen Stoß gegeben, so plötzlich rannte sie vor und lief genau auf die schwarze Wand zu.
    Es sah so aus, als würde sie dagegen prallen, das trat nicht ein, denn auf einmal war sie nicht mehr zu sehen. Die Wand hatte sie verschluckt. Ihre Umrisse glühten noch für einen Moment nach. Es war ein helles Flimmern, das nach wenigen Augenblicken schon verschwand. Bill Conolly stand da wie vom Donner gerührt und sagte genau das Richtige. »Das Jenseits hat sie wohl verschluckt…«
    ***
    Zwei geisterhafte Wesen in langen, hellen Kutten hatten Viviana auf den Boden gelegt. Mit stramm gespannten Stricken, deren Enden sie an den Gelenken befestigt hatten, hielten sie das Mädchen fest.
    Viviana befand sich in einer Lage, aus der sie sich durch eigene Kraft nicht mehr befreien konnte. Mir hatten die Geister bisher nichts getan, an dem Mädchen wollten sie sich schadlos halten, weil es zur Familie gehörte. Und diese sollte büßen.
    Viviana hatte in diesem Fall bisher eine zwiespältige Rolle gehabt. Ich war von ihr hintergangen und reingelegt worden. Andererseits hatte sie mich auch befreit. Im Nachhinein gestand ich ihr zu, dass sie nicht anders hatte handeln können, weil sie eben voll und ganz in diesem gefährlichen Kreislauf gesteckt hatte.
    Ich hatte den Ring der Geister durchbrechen können und musste mich nur noch dem Mädchen nähern, was nicht einfach war, denn in dieser geisterhaften Dimension galten andere Gesetze als in der meinigen. Ich kam mir vor wie ein Weltraumfahrer in seiner Kapsel, so mühsam quälte ich mich voran.
    Schleier umwallten mich. Die Schwärze hatte sich zu grauen, armartigen Nebelstreifen aufgelockert. Hin und wieder sah ich ein neues Gesicht vorbeihuschen oder eine andere Gestalt. Sie alle besaßen mehr oder weniger schwere Verletzungen, die sie mir zeigten und für die sich Menschen verantwortlich gezeigt hatten.
    Menschen, die vor Hunderten von Jahren gelebt hatten und lange tot waren. Aber die Opfer existierten noch, wenn auch in einer anderen Stufe. In der feinstofflichen eben.
    Viviana hatte es nicht leicht. Ihr Kopf lag im Nacken, das Gesicht war einem nicht sichtbaren Himmel zugedreht. Sie versuchte, sich gegen den Griff der Geister zu stemmen, es war ihr nicht möglich, hier regierten sie, und ich hörte auch ihre Stimmen, wie sie zu Viviana sprachen. Es waren flüsternde, gehauchte Worte, aber so laut, dass auch ich sie verstehen konnte.
    »Du bist eine von ihnen. Wir kennen dich. Du bist die Tochter der Mutter. Dich wollten wir nicht, wir wollten sie. Deshalb wirst du sie rufen. Du befindest dich in einer Welt, die anders ist als deine. Rufe sie herbei, sie wird deine Stimme hören, sie wird ihr folgen und zu uns kommen. Sobald das geschehen ist, lassen wir dich wieder frei…«
    Daran wollte ich nicht glauben. Ob Dämonen oder Geister. Ihre Versprechungen kannte ich und wusste auch, auf welch sandigem Boden

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