Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
Johann von Würzburg davongezogen. Der Bischof hatte ihm seinen Segen erteilt, oder zumindest dem Drängen seines Sohnes nachgegeben.
Elisabeth ließ prüfend den Blick über die Tafel schweifen. Es war alles bereit. Nichts, was ihr Bruder begehren konnte, fehlte. Sie hatte alle Speisen herrichten lassen, die er früher gern gegessen hatte – soweit sie sich derer noch erinnerte.
Ein Geräusch ließ sie herumfahren. Johann von Wertheim stand in der Tür und ließ den Blick über die Tafel schweifen. Er sagte kein Wort, aber Elisabeth wurde es abwechselnd heiß und kalt. Wie hatte sie das auch nur einen Augenblick vergessen können? Sie war nicht mehr die Tochter des Hauses, die auf dem Marienberg schalten und walten durfte, wie es ihr beliebte. Ihr Vater saß auf seiner Burg in der Verbannung, und dem neuen Herrn musste sie gar dankbar sein, wenn er sie noch eine Weile duldete.
»Ich habe gehört, Besuch sei angekommen?«, begann der Pfleger, nachdem Elisabeth noch immer nichts sagte.
Sie nickte. »Ja, mein Bruder Georg und sein Meister, der Kaufmann Johann von Würzburg, sind von einer langen Reise zurückgekehrt. Sie konnten nicht wissen, dass sich die Verhältnisse hier im Land verändert haben; daher führte sie ihr Weg in der Heimat sogleich auf Unser Frauenberg.«
Der Blick des Pflegers ruhte noch immer auf der üppigen Tafel und den wenigen Stühlen, die um den Tisch gruppiert waren. Elisabeth spürte seinen Vorwurf, obwohl er nichts dazu sagte.
»Nun, dann werde ich mich später ein wenig zu Euch gesellen, um zu hören, welch Waren und Geschichten die
Kaufleute von ihren Reisen mitbringen«, sagte er schließlich und verließ dann den Raum.
Elisabeth stand da, den Blick auf die Tafel gerichtet, die sie mit so viel Freude für ihren Bruder gerichtet hatte, doch nun wollte sich dieses Gefühl nicht mehr einstellen. Sie sah nur die Verschwendung, den unnötigen Überfluss, in dem sie am Hof ihres Vaters aufgewachsen war. Hatte ihre Zeit im Frauenhaus sie gar nichts gelehrt? Hatten dort nicht eine Schale Suppe und ein wenig Brot am Abend genügt, und sie war dankbar für Gottes Gabe gewesen? Deshalb war der Pfleger von Wertheim von den Domherren eingesetzt worden, um der Verschwendung Einhalt zu gebieten.
Wie gut, dass ihr Bruder diesen Augenblick für sein Erscheinen wählte und alle trübsinnigen Gedanken wie eine Sturmböe vertrieb. Sie spürte, wie ihr Gesicht erstrahlte, als sie seinen Schritt auf der Treppe vernahm. Er überquerte den Vorplatz und strebte auf sie zu.
»Ah, das duftet ganz vortrefflich. Was hast du nicht alles aufgetischt! So hatte ich die Festmähler stets in meiner Erinnerung, wenn ich bei kargem Mus auf einer öden Ebene frierend in meinem Zelt saß und mich fragte, welcher Dämon mich geritten hat, die Heimat zu verlassen. Thomas, komm schnell, und labe dich an diesem Anblick, ehe wir es uns schmecken lassen.«
Er sah den Freund an, der nun vortrat und sich artig vor Elisabeth verbeugte. »Thomas Klüpfel, gebürtig aus Bamberg«, stellte er sich vor. Das war also der angekündigte Reisegefährte, der sich zum Freund gewandelt hatte. Neugierig musterte Elisabeth ihn, während sie die anderen Männer aufforderte, Platz zu nehmen und kräftig zuzugreifen, was diese sich nicht zweimal sagen ließen.
Georg nannte ihr auch die Namen der anderen Gäste. Das kleine Männchen, das sie bereits im Hof angetroffen hatte, war der Kaufmann Johann Roderer, der Georg in die Lehre
genommen hatte. Ein weiterer jüngerer Mann, größer gewachsen und schlanker in der Erscheinung, wurde als Johanns Sohn Eberhard vorgestellt. Neben ihm nahmen noch zwei weitere Männer Platz, die hauptsächlich mit chinesischer Seide handelten und die sich unterwegs mit ihren beiden Karren dem Zug des Würzburger Kaufmanns angeschlossen hatten. Elisabeth richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Freund ihres Bruders.
Thomas Klüpfel war ein großgewachsener Mann, schlank, ja fast ein wenig hager, und einige Jahre älter als ihr Bruder. Elisabeth vermutete allerdings, dass er die dreißig noch nicht erreicht hatte, obwohl sein Blick davon sprach, wie viel er bereits erlebt hatte. Gutes, aber auch die Härte, zu der das Schicksal fähig ist. Die Augen waren blau. Von einem tiefen, dunklen Blau. Sein intensiver Blick wanderte immer wieder zu ihr herüber. Sein erst kürzlich sauber geschnittenes Haar zeigte einen hellen Braunton, dem vermutlich die Sonne des Südens einen Goldton verliehen hatte. Die Wangen des
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