Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
Lieferungen reichten von den verschiedenen Nahrungsmitteln, die die zahlreichen Bewohner täglich benötigten, bis hin zu edlen Pferden, luxuriösen Stoffen und Geschmeide. So einen Auflauf hatte Elisabeth jedoch noch nicht erlebt.
Die Frauen passierten das innere Tor und die Barbakane und schritten über die Zugbrücke, zumindest bis zur Mitte, denn dort blieb Elisabeth wie angewurzelt stehen.
»Das ist doch nicht möglich«, hauchte sie.
Auch Jeanne blieb jetzt stehen und wandte sich ihr mit fragender Miene zu. »Was ist nicht möglich?«
»Georg«, hauchte Elisabeth, was Jeanne nicht weniger fragend dreinschauen ließ.
»Georg«, wiederholte Elisabeth ungläubig. Dann breitete sich ein Strahlen über ihrem Gesicht aus, und sie jauchzte: »Er ist zurück! Er ist tatsächlich wohlbehalten zurück!«
Jeannes Frage, von wem sie spreche, verhallte ungehört. Elisabeth raffte ihre Röcke und stürzte über die Brücke auf den Hof und in die Arme eines Mannes, der sich gerade rechtzeitig umdrehte, um sie aufzufangen und an sich zu drücken.
»Gibt es da irgendetwas, das wir nicht mitbekommen haben?«, erklang eine Stimme hinter Jeanne.
Gret trat mit hochgezogenen Brauen neben Jeanne, die anscheinend so entsetzt war, dass sie keinen Ton herausbrachte. Gret dagegen murmelte: »Ich könnte mir vorstellen, dass unser Herr Albrecht von Wertheim das nicht gerne sehen würde.« Rasch blickte sie sich um, konnte ihn aber glücklicherweise nicht entdecken. »Nun, es wird schon einen
freundlichen Menschen hier auf dieser Burg geben, der ihn mit jeder unnötigen Einzelheit versorgt; davon bin ich überzeugt.«
»Ich hoffe nicht«, hauchte Jeanne, die noch immer geschockt schien.
»Unterschätze nicht die Bosheit der Menschen. Er wird es erfahren!«
Nun schwenkte der Fremde Elisabeth gar im Kreis, dass sie hell aufjauchzte. Fröhlich wie ein unbeschwertes Kind, das die Härte des Lebens noch nicht erfahren hat. So hatten die beiden Frauen Elisabeth noch nie erlebt. Ihr Lachen schallte über den Hof. Langsam traten die beiden näher. Endlich löste sich Elisabeth von dem Fremden und trat einen Schritt zurück. Ihre Wangen waren gerötet, und ihr Atem ging ein wenig schneller. Ein Strahlen ließ ihre graugrünen Augen aufleuchten. Einige Strähnen ihrer honigblonden Locken hatten sich aus ihrer Frisur gelöst und ringelten sich um ihren Hals bis über die Schultern.
»Georg!«, stieß sie aus und lächelte zu dem jungen Mann hoch, der kaum älter schien als sie. »Der Tag hätte mir keine größere Freude bringen können als deine Rückkehr.«
»Nun, ich war gerne weg, das will ich nicht verhehlen, aber dich wieder in die Arme schließen zu können, darauf habe ich mich gefreut, seit wir Persien verlassen haben. Und ich bin froh, dass die Gerüchte, die mich in fernen Landen erreichten, du habest dich in ein Kloster zurückgezogen, der Wahrheit entbehren.«
Elisabeth senkte den Blick. »Das ist eine komplizierte Geschichte.« Sie war erleichtert, dass er nicht darauf einging.
»Dann wirst du also doch noch unseren heißblütigen Rittersmann Albrecht ehelichen, wie ich es schon vor vielen Jahren prophezeite, als du noch ein Fratz warst und Zöpfe trugst?«
»Wenn er mich noch haben will«, sagte Elisabeth leise, ohne den Blick zu heben. Der Fremde lachte.
»Da müsste vorher die Welt untergehen und das Jüngste Gericht über uns kommen, ehe Albrecht etwas von seiner Vernarrtheit verliert. Von jeher war er völlig blind gegenüber deinen zahlreichen Fehlern und Makeln«, sagte er in scherzhaftem Ton und zupfte an einer ihrer Locken.
Elisabeth sah ihn empört an und knuffte ihm in die Rippen. »Wie kannst du so etwas behaupten? So viele Makel habe ich nicht …« Sie brach ab. »Hatte ich nicht«, fügte sie schwach hinzu.
»Ach, ich habe dich vermisst«, rief er unvermittelt und zog sie noch einmal in seine Arme. Elisabeth schloss die Augen und legte ihre Wange mit einem Seufzer an seine Schulter. »Ich dich auch«, hauchte sie.
Jeanne und Gret sahen einander an. »Jetzt verstehe ich gar nichts mehr«, stieß Gret aus, doch plötzlich begann ein Lächeln ihre Lippen zu heben und breitete sich dann über ihr ganzes Gesicht aus.
»Ich wüsste nicht, was es da zu grinsen gibt«, herrschte sie Jeanne an.
»Ich schon«, gab Gret zurück, und das Lachen wurde noch breiter. »Sieh ihn dir genau an. Sein Gesicht, die Nase, das blonde Haar und seine Augen. Ein schöner junger Mann, nicht wahr?«
»Ich wüsste nicht, was
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