Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
prachtvollen Städte Frankens und habe doch das Gefühl, es gäbe dort keinen Platz für mich.«
Sie spürte seine Hand auf ihrer Schulter, die zögernd ihren Arm herunterglitt. Meister Thomas trat hinter sie. Elisabeth lehnte sich gegen seine Brust und fühlte seine Wärme in ihrem Rücken. Sie konnte seinen Atem an ihrer Wange spüren.
»Vielleicht habt Ihr recht. Vielleicht ist Franken nicht der richtige Ort für Euch. Vielleicht könnt Ihr Euren Weg deshalb nicht sehen, weil er Euch weit weg in die Fremde führt. Mit dem Zug der Kaufleute in ferne Länder.«
Elisabeth versteifte sich und rückte ein wenig von ihm ab. »Ihr seht meine Zukunft auf der Landstraße? Wohl auf dem Karren der Marketenderin?«
Meister Thomas zog sie wieder zu sich. »Nein! In allen Ehren als Eheweib des Kaufmanns oder, besser gesagt, des reisenden Apothekers, wenn Ihr das wollt.«
Sie wandte sich ihm zu, um im schwachen Licht des Mondes in seinem Gesicht zu forschen, ob er sie etwa verspottete. Aus seiner Miene sprach feierlicher Ernst. Ein Gefühl von Glückseligkeit wallte in ihr auf, als er sie wieder sanft in seine Arme nahm. Sie reckte sich ein wenig, doch er kam ihr entgegen, bis sich ihre Lippen fanden. Lange standen sie da und küssten sich, bis sich ihre Knie so weich anfühlten, dass nur seine starken Arme sie aufrecht hielten.
Endlich löste er sich von ihr. »Wirst du darüber nachdenken?«
»Nein, das muss ich nicht«, widersprach Elisabeth, die sich schwindelig und außer Atem und seltsam leicht fühlte.
Thomas schüttelte den Kopf. »Doch, das musst du. Wenn die erste Verwirrung nachlässt, dann solltest du dich mit kühlem Verstand fragen, ob du diesen Weg, der auch Entbehrung und Gefahr mit sich bringt, wirklich gehen willst. Lass dir Zeit.«
Elisabeth öffnete den Mund, doch er verschloss ihn noch einmal mit seinem Kuss. Dann nahm er sie an der Hand und führte sie zu ihrem Zelt zurück.
Kapitel 24
W as für ein Wechselbad der Gefühle! Elisabeth hatte nicht angenommen, dass es einfach werden würde zurückzukehren, doch dass die Gefühle sie derart mitnehmen und ihr Herz mal in Eiseskälte schütteln, dann wieder in Hitze verbrennen würden, hatte sie nicht erwartet. Wie gebannt starrte sie aus dem Kutschenfenster des alten, klapprigen Gefährts. Jede Wegbiegung und jeder Baum, die ihr vertraut vorkamen, lösten ein schmerzhaftes Ziehen aus. Jeanne betrachtete sie besorgt und fragte mehrmals, ob sie sich nicht wohl fühle.
»Elisabeth ist krank!«, behauptete sie schließlich. Gret schüttelte an Elisabeths statt den Kopf.
»Doch, das ist sie«, widersprach Jeanne. »Sieh nur, wie ihre Wangen abwechselnd rot und blass werden. Fass nur ihre Hände an. Ganz heiß und feucht. Wir sollten anhalten und Meister Thomas fragen, ob er etwas in seiner Apotheke hat, das ihr helfen kann, ehe ein wirklich böses Fieber ausbricht.«
Gret verdrehte die Augen. »Wenn es ein Fieber ist, dann keines, das der Herr Apotheker mit seinen Pülverchen heilen könnte!«
»Gret!«, rief Elisabeth mit ungewöhnlich strenger Stimme. »Jaja, ich sage nichts mehr. Aber im Gegensatz zu gewissen dummen Schafen hier in der Kutsche, deren Namen ich nicht nennen will, habe ich Augen im Kopf und durchaus Verstand. Also, liebste Jeanne, um das körperliche Wohl unserer lieben Freundin musst du dir im Augenblick keine Sorgen machen. Um den Zustand ihrer Seele vielleicht schon eher. Manches
Mal ist es eben nicht leicht zurückzukehren, obgleich du dir einst nichts sehnlicher gewünscht hast!«
Elisabeth nickte mit ernster Miene. »Ja, unter anderen Umständen. Es kommt mir so vor, als sei es ein anderes Leben gewesen.«
»Vielleicht war es das.«
»Ja, ein Leben, das nun hinter mir liegt und in das ich nicht mehr zurückkehren werde. Wenn ich meinen Weg bisher auch nur verschwommen sehe, so verfestigt sich doch die Ahnung, dass er mich schon bald weit von hier weg führen wird. Ich kehre nur zurück, um Abschied zu nehmen.«
»Wenn du meinst«, brummte Gret.
Sie schwiegen, bis sie durch das äußere Tor in den Vorhof einfuhren. Die Kutsche hielt neben der Pferdeschwemme. Elisabeth hörte die Stimme des Kutschers und die barsche Erwiderung eines anderen Mannes, den sie nicht erkannte. Vermutlich der Wächter vor der Zugbrücke zur Barbakane, der sich erst versichern wollte, wer Einlass verlangte, ehe er die Durchfahrt in den inneren Hof freigab. Nun mischte sich ihr Bruder ein. Dann ruckte die Kutsche und rollte über die Zugbrücke und
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