Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
unter den beiden Toren der wie eine kleine Burg gebauten Barbakane hindurch. Die groben Mauern des massigen Wartturms, der aus der Mitte des Hofes ragte, huschten am rechten Fenster vorbei. Dann sah sie durch das linke die Basilika, ehe die Kutsche vor den Stufen zum großen Saal hielt. Der Wagenschlag wurde geöffnet, und Elisabeth ergriff zögerlich die ihr entgegengestreckte Hand, um sich hinaushelfen zu lassen. Als sie sich umwandte, sah sie, dass ihr Bruder und der Apotheker ihren Karren gleich zu ihrem alten Quartier hatten vorfahren lassen. Sie tauschte einen Blick mit Thomas und sah dann rasch zu Boden.
Es war Thomas’ Einfall gewesen, sie zur Marienfestung zu begleiten. Georg war nicht so recht begeistert gewesen, doch das Argument, dass eine erneute Belagerung Würzburgs dieses
Mal auch zu Gunsten des Bischofs ausgehen könnte, stimmte ihn um. Er überlegte gar, ob es sinnvoll sei, den Rest seiner Waren aus Würzburg zu holen und auf die Marienfestung zu schaffen. So verließen also alle fünf das Feldlager des Bischofs, von acht seiner Bewaffneten bis zum äußeren Tor begleitet. Dort machten die Männer kehrt, was Elisabeth nicht wunderte. Wer konnte schon sagen, ob sich der Pfleger nicht ebenfalls des bei Johann von Brunn so beliebten Druckmittels, Geiseln zu nehmen, bedienen mochte. Kaum hatten sie ihren Auftrag, die Tochter des Bischofs und ihre Begleiter zur Festung zu bringen, ausgeführt, machten sie sich in flottem Galopp davon.
»Elisabeth!«
Allein das Wort, von dieser Stimme ausgerufen, ließ ihre Knie weich werden. Zögernd sah sie auf. Er kam ihr entgegen die Treppe heruntergelaufen, das lange Gewand, das so gar nicht zu ihm passen wollte, leicht gerafft.
»Elisabeth!«, stieß er noch einmal mit solch einer Wärme aus, dass sie schlucken musste. Dann schloss er sie in seine Arme, ohne sich darum zu kümmern, dass ihre beiden Mägde hinter ihr standen und der Kutscher und wer weiß wie viele andere Männer und Frauen der Burg ihn anstarrten.
Eine Welle der Vertrautheit erfasste sie, und obwohl sie sich dagegen zu wehren versuchte, lehnte sie sich gegen seine Brust und sog seinen vertrauten Geruch in sich ein.
»Wo kommst du plötzlich her? Na, egal, du bist zurückgekehrt; das ist alles, was zählt. Komm erst einmal herein, und erhole dich von den Strapazen der Reise. Es muss die Hölle gewesen sein in diesem Karren.« Er betrachtete die alte Kutsche mit einem Ausdruck von Abscheu.
»Ich hätte dir ein bequemeres Gefährt geschickt.« Er überlegte. »Es ist nicht die Kutsche deines Vaters. Soll ich daraus schließen, dass du ohne sein Wissen und ohne seine Erlaubnis davongelaufen bist? Und behaupte nur nicht, so etwas würdest du als folgsame Tochter nicht tun!«
Elisabeth ließ es zu, dass er ihre Hand durch seine Armbeuge zog und sie die Treppe hinaufgeleitete. Ein rascher Blick über den Hof zeigte ihr, dass Thomas und ihr Bruder bereits hinter der Tür verschwunden waren. Elisabeth lächelte Albrecht schief an.
»Nein, das behaupte ich nicht, dennoch ist das Gegenteil der Fall. Ich bin auf höchstväterlichen Befehl hier!«
Albrecht blieb abrupt auf dem Treppenabsatz stehen. »Du treibst Scherze mit mir! Der Bischof höchstpersönlich hat dich hierhergeschickt?« Elisabeth nickte.
»Dann glaubt er also, demnächst selbst wieder Herr hier oben zu sein?«
»Nein, so altersverwirrt ist er noch nicht, auch wenn er den Marienberg nur allzu gern zurückhätte.«
Albrecht schnaubte durch die Nase. »Das kann ich mir denken. Was aber dann?« Er hielt inne. »Er hat dich hierhergeschickt, um mich zu umgarnen und meine Pläne auszuspionieren!«
Elisabeth seufzte, während sie sich in den Saal geleiten ließ. »Ich kann dir nicht einmal einen Vorwurf machen, dass du so schlecht von ihm denkst, war dies doch auch mein erster Verdacht. Aber er gab mir keinen konkreten Auftrag. Nein, er versicherte mir gar, dass er nichts von mir erwarte. Er wolle mich nur in guten Händen und in Sicherheit wissen. Es hat mich selbst verwundert, aber er schien dir in diesem Moment nicht besonders zu zürnen, dass du dich nicht an den Vertrag halten willst, den du auf dem Zabelstein gesiegelt hast. Er versicherte mir sogar, er habe nichts dagegen, wenn wir unser früher so vertrautes Verhältnis wiederherstellten.« Elisabeth hob die Schultern. Doch Albrecht schien keine weitere Erklärung zu benötigen. Er nickte mit ernster Miene.
»So ist das also.«
Elisabeth ließ es dabei und sah sich neugierig im
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