Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
sagen. Es fühlte sich noch immer falsch an, aber sie wusste nicht, wo sie ansetzen sollte, um dem wahren Grund näherzukommen. Vielleicht musste sie erst einmal darüber schlafen.
Der Bischof rieb sich die Hände. »Gut, wenn das dann geklärt ist, können wir das Mahl auftragen lassen. Möchtest du dich zu uns setzen, meine Tochter?«
Elisabeth schüttelte den Kopf. »Nein, danke, verzeiht, dass ich die Einladung ausschlage. Ich wünsche eine gesegnete Nacht und sehe Euch morgen früh, bevor ich reise.«
Der Bischof schien sich über die Ablehnung nicht zu ärgern. Ganz im Gegenteil, sie hatte eher den Eindruck, er wäre erleichtert. Gern hätte sie Friedlein unter vier Augen gesprochen, doch der Narr schien ihre Absicht zu ahnen und dachte gar nicht daran, ihrer Aufforderung, sie zu ihrem Zelt zurückzubegleiten, Folge zu leisten. Er konnte sich wohl denken, dass ihn so manch bohrende Frage erwartete. Offensichtlich hatte er keine Lust, sich diesen zu stellen. So musste sie mit einem herbeigerufenen jungen Ritter vorliebnehmen, der auf ihrem Weg kein einziges Wort an sie richtete. Auch gut. Ihr war eh nicht nach seichter Plauderei. Nein, dazu ging ihr zu viel Ungeklärtes im Kopf herum. Mit vielen wirren Gedanken kehrte Elisabeth zu ihrem Zelt zurück und begab sich sofort zu ihrem spartanischen Lager. Das Einzige, was Jeanne auf ihre besorgte Frage nach ihrem Befinden zu hören bekam, war: »Du kannst unsere Kiste reisefertig machen. Morgen in aller Frühe brechen wir zum Marienberg auf.«
Dann drehte Elisabeth ihren beiden Mägden den Rücken zu und zog die Decke bis über die Schulter. Mit ihren verwunderten Fragen mussten die beiden alleine fertig werden.
Elisabeth lag auf ihrem Feldbett und starrte auf den groben Stoff der Zeltwand. Lange schon hatten sich die beiden Mägde auf ihr Lager zurückgezogen, doch der Schlaf wollte nicht kommen. Leise erhob sie sich, wickelte sich in ihren Umhang und schlüpfte aus dem Zelt. Im Lager war es ruhiger geworden. Dennoch kam diese wogende Masse des Heeres niemals ganz zur Ruhe. Nicht nur die Wachen drehten unablässig ihre Runden. Hier wurde an einem Feuer noch gewürfelt, dort saßen welche nur mit ihren Bechern in den Händen zusammen, unterhielten sich oder starrten einfach vor sich hin. Von weiter hinten am Waldrand erhob sich vielstimmiges Gelächter, dann einige Flüche.
Bedächtig schritt Elisabeth unter den Zweigen einer Baumgruppe, wobei sie die Gruppen mied, die noch keinen Schlaf gefunden hatten. Ihre Schritte fanden den Weg, den sie in den vergangenen Tagen so oft gegangen waren, bis die Silhouette der Stadt unter ihr auftauchte. Jetzt in der Nacht wirkte sie friedlich. Als ob die Bürger dort unten in ihren Häusern ohne Angst vor dem Morgen schlafen könnten.
Ein Zweig knackte hinter ihr. Elisabeths Herzschlag beschleunigte sich. Da war jemand. Schritte, die nicht einmal versuchten, sich zu verbergen. Hastig drehte sie sich um und suchte den Schatten der sich nähernden Gestalt in der Dunkelheit. Die Angst verwehte so schnell, wie sie aufgeflammt war. Ihre Sinne erkannten ihn, noch ehe ihre Augen die Schatten voneinander trennen konnten.
»Meister Thomas! Was schleicht Ihr hier um diese Stunde herum?«
»Ich folge einem unvernünftigen Fräulein, dem es nicht bewusst zu sein scheint, wie gefährlich es für sie mitten in einem Heereslager werden kann.«
Elisabeth hob die Schultern. »Ja, es ist unvernünftig, ich weiß, doch es trieb mich aus meinem Zelt. Ich konnte keine Ruhe finden.«
Meister Thomas trat näher. Gemeinsam sahen sie über die belagerte Stadt, doch nun weilten Elisabeths Gedanken nicht mehr bei den Bewohnern und ihren Ängsten. Es war ihr, als würde Meister Thomas’ Wärme sie streifen. Vielleicht gerade deshalb wurde ihr die Kühle der Nacht bewusst.
»Was ist es, das Euch den Schlaf vertreibt?«, fragte er, nachdem sie einige Zeit so nahe schweigend nebeneinandergestanden hatten, dass sich ihre Schultern beinahe berührten.
»Es ist so dunkel um mich herum, dass ich meinen Weg nicht erkennen kann.«
Sie spürte, wie er nickte. »Ich verstehe. Doch solltet Ihr Euch nicht zu sehr quälen. Es ist der unabänderliche Lauf der Dinge, dass irgendwann die Sonne wieder aufgeht. Sie wird Euch mit ihren Strahlen den Weg weisen.«
Elisabeth stieß einen Seufzer aus. »Auch die Sonne kann mir da nicht helfen. Ich blicke mich um, sehe die weiten Täler und Hügel mit ihren Wiesen und Wäldern, sehe die unzähligen Dörfer und
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