Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
beratschlagten sich, während draußen der Wind durch die Schwärze der Nacht heulte und den Regen durch die Gassen trieb.
Irgendwann zogen sich die Frauen in die Kammer unter dem Dach zurück. Elisabeth schlief kaum unter der dünnen, kratzigen Decke, die sonst vermutlich die Frau des Müllers wärmen musste. Sie verdrängte den Gedanken, wohin die Familie
geflüchtet sein und wie es ihr jetzt wohl gehen mochte. Hoffentlich hatten sie ein Dach über dem Kopf gefunden und waren bei diesem Wetter nicht gezwungen, sich irgendwo im Wald zu verbergen. Die Müllerfamilie musste kleine Kinder bei sich haben. Elisabeth hatte eine Wiege entdeckt und in einem Wäschekorb mehrere Kittel und Beinlinge in verschiedenen Größen.
Als der Morgen graute und die Geräusche der erwachenden Männer von draußen hereindrangen, schlüpfte Elisabeth schnell in ihre schmutzigen, nun aber glücklicherweise wieder trockenen Gewänder und machte sich auf die Suche nach Albrecht. Stattdessen traf sie auf seinen Oheim, der den Männern Befehl gab, das Lager abzubrechen.
»Wohin ziehen wir? Zurück nach Würzburg?«
Hauptmann von Wertheim schüttelte den Kopf. »Nein, hinauf auf die Karlburg. Wir werden die Geschütze dort aufbauen. Mal sehen, ob wir von der Klippe oben mehr ausrichten können. Wenn nur das Pulver nicht bereits zu nass ist.«
Elisabeth richtete den Blick gegen den Himmel, über den noch immer dichte, graue Wolken jagten. »Das Wetter scheint kein Einsehen mit uns zu haben.«
Michael von Wertheim schüttelte den Kopf. »Nein, ich fürchte, wir dürfen nicht auf Besserung hoffen. Es ist wie verhext. Fast könnte man meinen, der dort oben ist mit Bischof von Brunn im Bunde.«
»Glaubt Ihr das? Dass Gott der Herr die Taten meines Vaters gutheißt?«
Der Graf sah sie nachdenklich an. »Ich kann es mir nicht vorstellen, doch wie Ihr wisst, bin nicht ich derjenige der Familie, der sich rühmen könnte, Gottes Willen zu erkennen. Nun, wir werden sehen, wer am Ende den Sieg davonträgt. Und nun entschuldigt mich, ich muss Acht geben, dass die Büchsen unversehrt auf die Festung hinaufkommen.«
Elisabeth ließ den Blick die steile Klippe hinaufwandern,
aus deren Spitze die Mauern der Burg emporzuwachsen schienen. Zu beiden Seiten fielen die bewaldeten Hänge steil ab. Wie sollten die Männer es schaffen, die schweren Kanonen über den aufgeweichten Boden dort hochzubringen?
Der Graf schien ihre Gedanken zu erahnen. Er nickte mit grimmiger Miene. »Ja, das wird ein schönes Stück Arbeit. Selbst wenn wir Kammer und Flug der Büchsen auseinanderbauen, ist jedes Stück noch mächtig schwer. Ich hoffe, bis heute Abend haben wir alle Teile oben.«
Und so zogen die Würzburger und die Ritter des Pflegers von Wertheim auf die Burg hinauf. Der Amtmann des Schlosses, Sebastian von der Than, und seine Männer packten tatkräftig mit an, bis die Geschütze in Stellung gebracht worden waren. Nun hieß es warten. Der Wertheimer ließ einige Tage verstreichen, ohne dass das Wetter nennenswert besser wurde. Die Männer, die kein festes Dach über dem Kopf hatten, begannen zu murren. Die ersten Fieberfälle wurden dem Hauptmann gemeldet.
»Wir müssen etwas unternehmen«, rief Graf von Wertheim und schritt ungeduldig in der großen Halle der Burg auf und ab. »Und zwar schnell! Bevor unsere Männer vom Fieber dahingerafft werden oder sich eines Nachts von sich aus einfach auf den Heimweg machen.«
Elisabeth saß mit ihren Mägden nahe dem Feuer und fror dennoch. Sie war in den vergangenen Tagen zu oft durchnässt worden und fürchtete nun, sie könne sich ebenfalls das Fieber eingefangen haben. Sie spürte Jeannes besorgten Blick auf sich ruhen.
Albrecht nickte. Er konnte nicht umhin, seinem Oheim recht zu geben. »Morgen muss eine Entscheidung fallen, oder wir brechen die Belagerung ab. Bei diesem Wetter können wir nichts ausrichten.«
Obgleich es weiterhin regnete und die Büchsen fast im Schlamm versanken, machten sich die Mannschaften am
nächsten Tag noch einmal daran, die Rohre auszurichten, um vielleicht doch noch eine Bresche in die Stadtmauer zu schießen. Vergeblich! Die Geschosse fielen vor der Mauer hernieder, ohne sie auch nur zu beschädigen. Somit war es entschieden. Die Belagerung wurde unverrichteter Dinge abgebrochen, und man rüstete sich, am Morgen gen Würzburg aufzubrechen. Elisabeth wusste nicht, ob sie erleichtert oder enttäuscht sein sollte. Albrecht zumindest war der Verzweiflung nahe.
»Wir sind keinen
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