Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
zu rufen. Keine Sorge, sie werden Euch bis dahin nicht davonlaufen!«
Der Bischof schnaubte. »Kannst du einmal nur ernst über eine Sache nachdenken?«
Friedlein riss in gespieltem Erstaunen seine grünen Augen auf. »Ich bin Euer Narr, Herr, das werdet Ihr doch nicht vergessen haben?«
Der Bischof ging nicht darauf ein. Er starrte wieder schweigend in den Regen, und Friedlein tat es ihm gleich. Endlich sprach Johann von Brunn weiter.
»Manches Mal frage ich mich, ob Gott der Herr noch auf meiner Seite steht. Es war sein Wille, dass ich zum Bischof und Landesfürsten berufen wurde. Ich habe mein Leben lang gekämpft, getrieben vom Wissen, es ist zu Gottes Ehre.«
»Und zu Eurem Wohl«, murmelte der Narr leise und fügte dann lauter hinzu. »Und nun? Was hat sich verändert?«
Fast hilflos hob der Bischof die massigen Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich habe in den vergangenen Jahren zunehmend das Gefühl, ich rudere mit Eifer und Kraft gegen den Strom, doch er treibt mich unbarmherzig zurück. Es ist, als habe Gott seine schützende Hand von mir genommen.«
»Und was werdet Ihr tun?«
Der Bischof wandte sich dem Narren zu. Die Unsicherheit war aus seiner Miene verschwunden. Nun war er wieder der Fürst, der seit vielen Jahren über das Land herrschte. »Wir werden diese Belagerung abbrechen, um unsere Kräfte zu sammeln, und dann bringen wir das hier zu Ende. Zu einem ruhmreichen Ende! Zu Gottes Ehren und zu Ehren von Franken!«
»Und zum Ruhm seines Bischofs Johann II. von Brunn. Amen«, ergänzte der Narr und seufzte.
Der Samstag dämmerte heran, und noch ehe es richtig hell wurde, ließ Hauptmann von Wertheim die Geschütze in Stellung
bringen. Natürlich hatten sich die Karlstädter Bürger hinter ihren Mauern verbarrikadiert, und alle Tore blieben geschlossen. Selbst Albrechts Boten, den er mit einem Schreiben an den neuen Amtmann in die Stadt hatte schicken wollen, verweigerten die Karlstädter den Einlass. Stattdessen wurde die Stadt verteidigungsbereit gemacht. Elisabeth konnte die Spitzen ihrer Hellebarden und Spieße ab und zu in den Wehrgängen aufblitzen sehen. Das Wetter hatte sich kaum gebessert. Ein kalter Wind fuhr in Böen über den Main und brachte immer wieder Schauer mit sich. Albrecht riet ihr, im Haus an der warmen Feuerstelle zu bleiben, aber Elisabeth wollte sehen, was draußen vor sich ging. Sie hüllte sich in ihren warmen Umhang. Gret war bereit, sie zu begleiten, während Jeanne lieber in der Mühle blieb und ankündigte, dieses Dreckloch – wie sie es nannte – in eine wohnliche Behausung zu verwandeln.
Albrecht stellte den beiden Frauen zwei seiner Edelknechte zur Seite, obgleich Elisabeth dagegen protestierte.
»Sie dienen eurem Schutz. Bitte, ich hätte sonst keine Ruhe. Wer kann schon voraussagen, was passiert?«
Elisabeth gab nach. Sie dachte an den mutigen Ausfall der Ochsenfurter, der den Bischof einige seiner Männer gekostet hatte. Tote, Verwundete und zahlreiche Gefangene, die er teuer wieder auslösen musste. Sie sah zu den Mauern der Stadt hinüber, die der Main von den Belagerern trennte. Dort saßen ihre Gegner. Die Besatzung der Burg über ihnen stand dagegen noch immer zu ihrem Pfleger und dem alten Dechanten. Von da würde ihnen keiner in den Rücken fallen. Nein, sie glaubte sich nicht in Gefahr. Und wenn etwas Unvorhergesehenes geschehen sollte, was konnten dann zwei Bewaffnete ausrichten? Dennoch ließ Elisabeth Albrecht seinen Willen. Er hatte Wichtigeres zu tun, als sich mit ihr zu streiten. Wenigstens hielten sich die beiden Männer ein wenig im Hintergrund, sodass sie ungestört mit Gret sprechen
konnte. Die beiden Frauen folgten dem Büchsenmeister und seiner Mannschaft, die die lange Büchse vom Marienberg in Stellung brachten. Wie die meisten Büchsen konnte man auch diese zum Transport in zwei Teile zerlegen. Der hintere Teil, die Kammer, die die Pulverladung aufnahm, hatte wesentlich dickere Wände aus Schmiedeeisen, um dem Druck der Explosion standzuhalten. Der Flug, wie man den vorderen Teil des Geschützes nannte, der die Kugel aufnahm und sie beim Schuss auf ihr Ziel lenkte, musste nicht ganz so stabil sein, sodass man ein wenig an der Wandung sparen konnte. Dennoch wog so eine Büchse mehrere Tonnen und konnte nur in ihre beiden Teile zerlegt auf Pferdekarren transportiert werden.
Die langwierige Prozedur des Ladens begann. An diesem Regentag war es besonders schwierig, das Pulver in die Kammer zu füllen, ohne dass es zu nass
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