Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
fränkischen Landen gütlich taten. Die Erträge gingen Jahr für Jahr zurück, und so setzte die Mutter Oberin große Hoffnungen in den Besuch des Pflegers von Wertheim.
Nach der Andacht trafen sich die Schwestern im Refektorium, wo ihnen und dem hohen Gast mit seinem Gefolge Mus, Brot und Käse und ein Trunk von saurem Wein gereicht wurde. Während eine der Schwestern erbauliche Worte aus einem Buch gesammelter Viten heiliger Männer las, versuchte die Mutter Oberin dem Gast zu entlocken, mit welchen Mitteln zur Rettung des Klosters sie konkret rechnen durfte, doch der Pfleger wand sich und ließ sich kein Versprechen abringen. Nur, dass er sie alle in seine Gebete einschließen würde, versprach er. Die Mutter Oberin ließ sich ihre Enttäuschung nicht anmerken.
Schwester Marthe beendete die Lesung, klappte das Buch behutsam zu und ging zu ihrem Platz zurück, wo sie rasch einen Bissen Brot in den Mund schob, ehe sich die Mutter Oberin erhob und das Mahl damit beendete. Rasch erhoben sich auch die Schwestern und stimmten ein Dankgebet für Speis und Trank an. Ihre hellen Stimmen klangen vom Gewölbe wider. Auch die Gäste hatten sich erhoben und warteten geduldig,
bis die Schwestern ihren Gesang beendeten und sich dann lautlos im Gänsemarsch entfernten.
Aus den Augenwinkeln sah die Oberin, wie sich der Pfleger wieder auf seinen Stuhl fallen ließ. Überrascht wandte sie sich um. Der junge Vikar, der bisher stets an seiner Seite geblieben war, beugte sich über ihn.
»Hochwürden, was ist mit Euch? Wollen wir nicht aufbrechen? Wir kommen sonst in die Dunkelheit, ehe wir den Schutz des Marienberges erreichen. Und das ist in diesen unsicheren Zeiten nicht ratsam. Nicht einmal für Euch. Das Bistum liegt noch mit zu vielen Rittergeschlechtern des Umlandes in Fehde. Und so manche Bande von Strauchdieben macht die Wege unsicher.«
Der Pfleger antwortete nicht. Stattdessen sackte er noch ein wenig tiefer in sich zusammen und gab ein röchelndes Geräusch von sich.
»Bitte? Was sagtet Ihr?« Der Vikar blickte verwirrt in die Runde; dann wagte er, seinem Herrn an die Schulter zu fassen.
»Fehlt Euch etwas? Ist Euch nicht gut?«
Johann von Wertheim hustete krampfhaft. Er schwankte zur Seite. Vergeblich versuchte der Vikar, ihn zu stützen, doch der Körper bäumte sich auf und rutschte vom Stuhl. Der Mutter Oberin entschlüpfte ein Aufschrei. Sie warf sich auf die Knie und versuchte den Körper des Pflegers aufzurichten, der sich nun in Krämpfen wand. Ihr Schrei drang bis zu den Schwestern, die sich ob des ungewohnten Lauts aus dem Mund ihrer Äbtissin umwandten. Der Zug kam ins Stocken, und bald umringten alle Schwestern den zuckenden Körper des Mannes, der doch ihr geistlicher Vater und Landesherr werden sollte. Sie vergaßen sich gar so weit, dass sie die Stille brachen und aufgeregt miteinander tuschelten.
Der Vikar sank ebenfalls auf die Knie und sah die Mutter Oberin flehend an. »Was ist nur mit ihm? Was kann ich tun?«
Endlich gelang es der Ordensfrau, ihn umzudrehen. Sein
Gesicht war rot und begann sich nun bläulich zu verfärben. Der Brustkorb hob und senkte sich krampfhaft. Schaum trat ihm vor den Mund.
»Schnell, holt Wein«, herrschte sie die beiden Schwestern an, die sich am weitesten vorgewagt hatten. »Und Salz, viel Salz!«
»Salz?« Der Vikar sah sie verständnislos an. »Ach, warum hat er nicht wie Bischof von Brunn stets einen Leibarzt an seiner Seite? Der wüsste jetzt, was zu tun ist.«
»Der könnte im Moment auch nichts anderes tun«, erwiderte die Mutter Oberin barsch und nahm den Weinbecher entgegen, den die junge Novizin ihr reichte. »Wir müssen ihn dazu bringen, sich zu erbrechen, um seinen Körper rasch von dem Gift zu befreien.«
Der Vikar senkte die Stimme. »Gift? Wie kommt Ihr dazu, von Gift zu reden? Er hat einen Anfall.«
Auch die Ordensfrau sprach nun sehr leise. »Weil alle Anzeichen dafür sprechen. Pfleger von Wertheim ist ein junger, gesunder Mann von nicht zu mächtiger Körperfülle. Nichts spricht dafür, dass er eine schwere Krankheit in sich trägt oder einen plötzlichen Schlagfluss erleiden könnte. Außerdem habe ich schon Menschen den Schlag treffen sehen. Die Symptome waren andere. Seht nur diesen Schaum und die verfärbten Lippen. Nein, auch wenn es mir mehr als nur unrecht ist, dass so etwas in meinem Haus geschehen muss. Ich fürchte, jemandem ist es gelungen, ihm hier unter meinen Augen etwas Giftiges einzugeben. Und nun fasst endlich mit zu, und
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