Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
euch nichts zu sagen. Ihr könnt tun und lassen, was ihr wollt.«
»Und gerade deshalb bleiben wir bei dir«, rief Jeanne.
»Du wirst stets meine Herrin und Freundin sein, ganz egal, was das Schicksal noch bereithält.« Sie streckte Elisabeth die Hände entgegen, die sie sichtlich ergriffen umfasste.
Gret betrachtete die beiden kopfschüttelnd. »Welch bewegende Schwüre! Nein, schaut mich nicht so an. Ich bin durchaus eine Verfechterin von Treue und Freundschaft, und auch ich werde dich sicher nicht im Stich lassen. Dennoch werde ich gegen deine unsinnigen Entscheidungen aufbegehren und dagegen kämpfen, dass du dich selbst zerstörst. Denn das verstehe ich unter Freundschaft! Und deshalb sage ich dir auch ganz offen, dass du ein schrecklicher Narr bist und – wenn du jetzt wegläufst – einen Fehler begehst, den du dein Leben lang wirst bereuen müssen.«
»Was soll sie denn tun? Er hat sie von sich gewiesen!«, sprang Jeanne in die Bresche.
»Halt den Mund, du dummes Ding«, fuhr sie Gret an. »Gar nichts hat er. Er hat eine Entscheidung getroffen, sich mehr Macht zu sichern, als er je hätte erhoffen können, statt zu riskieren, von seinem Vater in Ungnade aus der heimatlichen Burg gewiesen zu werden. Er ist nach wie vor bereit, Elisabeth ein wohliges Leben zu bieten.«
»Ja, aber nicht als ihr Ehemann!«, warf Jeanne ein. »Er kann sie sich nehmen und wieder fallen lassen, ganz wie es ihm beliebt. Und dann? Dann steht sie alleine und ohne Geld und Schutz auf der Straße.«
Gret nickte. »Ja, diese Gefahr besteht«, musste sie zugeben. »Dennoch begegnet Elisabeth diesem Risiko nicht, indem sie Albrecht jetzt davonläuft. Sie sollte sich ihm stattdessen unentbehrlich machen. Er ist ihr herzlich zugetan. Welch bessere Voraussetzungen gibt es, einen Mann an sich zu fesseln?«
»Ich werde nicht Albrechts Mätresse!«, rief Elisabeth störrisch.
»Warum nicht? Würde er dich zum Altar führen, wärst du
nur zu gern bereit, dich ihm hinzugeben. Also nur, weil es in den Augen der Kirche eine Sünde wäre?«
»Du verstehst das nicht«, wehrte Elisabeth ab.
»Nein, das verstehe ich nicht«, entgegnete Gret genauso harsch. »Du riskierst es, zurück auf die Straße geworfen zu werden, wo du dich für ein paar Pfennige der Willkür jedes Kerls hingeben musst, statt ein wenig von deinem Stolz Abstand zu nehmen und mit dem Mann zusammenzuleben, den du liebst und der dich gut versorgen würde. Darüber hinaus ist er sicher keiner dieser Ehrlosen, die eine Geliebte, wenn sie ihrer müde sind, ohne sich um ihr weiteres Schicksal zu kümmern, in die Gosse stoßen!«
»Ganz unrecht hat Gret nicht«, wagte Jeanne ihr leise beizupflichten und sah ein wenig ängstlich zu Elisabeth auf, die mit verschränkten Armen mitten in ihrem Gemach stand.
»Seid Ihr nun fertig?«, fragte sie nur. Die beiden nickten stumm. Während Grets Miene ebenso abweisend war, sah Jeanne sie bittend an.
»Gut, dann kann Jeanne ja mit dem Packen fortfahren. Ich habe mir eure Meinung angehört; dennoch bleibe ich bei meinem Entschluss. Mag es vernünftig sein oder nicht, ich werde nicht hierbleiben und mich Albrechts Launen auf Gedeih und Verderben ausliefern – weder als seine Mätresse noch sonst irgendwie. Und nun entschuldigt mich, ich muss noch einige Dinge regeln, bevor wir aufbrechen.«
»Wohin fahren wir denn?«, rief Jeanne, doch Elisabeth hatte das Gemach bereits verlassen und gab ihr keine Antwort.
»Wohin wohl«, antwortete Gret an ihrer Stelle. »Zum einzigen Ort, an dem sie noch Unterstützung finden wird – hoffe ich jedenfalls.«
So sicher sich Elisabeth vor den beiden Freundinnen gegeben hatte, so unsicher fühlte sie sich nun, als sie über den Hof
auf die Gebäude des Südflügels zuschritt. War sie im Begriff, einen entscheidenden Fehler zu begehen? Sie hatte Grets Worte barsch von sich gewiesen, und dennoch konnte sie sich der Lebensweisheit in ihnen nicht gänzlich verschließen. Nein, wenn sie ehrlich zu sich selbst war, konnte sie ihr Handeln nicht als klug bezeichnen. Elisabeth war jedoch zu zornig und fühlte sich von Albrecht derart tief verletzt, dass sie nicht anders konnte. Entschlossen betrat sie das Gebäude, in dem ihr weitgereister Bruder mit seinen von weither mitgebrachten Kostbarkeiten untergebracht war. Sie stieg die Treppe hinauf und klopfte an die verschlossene Tür. Nichts regte sich. Elisabeth klopfte noch einmal energischer. Konnte es sein, dass er zu dieser Zeit noch schlief? Beim
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