Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
handelte. Er entführte Elisabeth in ferne Länder und zu deren Bewohnern, die so fremdartig und seltsam schienen, dass sie ihm atemlos lauschte, obwohl ihr manches Mal der Verdacht kam, er übertreibe oder schwindle ab und zu des Effektes wegen gar, doch Meister Thomas schüttelte ernst den Kopf.
»Jedes Wort, das ich Euch sage, ist wahr, und ich schwöre, alles hat sich so zugetragen.«
Es wurde bereits Abend, als er mit seiner Erzählung zu Ende kam und schwieg. Elisabeth seufzte leise. »Wie wunderbar. Wie aufregend und kaum zu glauben, was Gottes weite Welt für den Mutigen bereithält. Ich beneide Euch und wünschte, auch ich wäre mutig. Ich wünschte, auch ich wäre ein Mann und könnte einfach zu einem neuen Leben aufbrechen und in ferne Länder ziehen.« Sie lachte ein wenig bitter. »Oh ja, ich kann auch zu einem neuen Leben aufbrechen, doch weiter als zum Zabelstein wird mich mein Weg nicht führen.«
Meister Thomas bedachte sie mit einem langen Blick, sagte aber nichts, und sie war ihm dankbar, dass er es ihr ersparte, sich Beteuerungen von Mitleid und Bedauern anhören zu müssen.
Die erste Woche auf Burg Zabelstein verging wie im Flug, und nur am Abend, wenn die Schatten enger heranzurücken schienen, kam die Verzweiflung zurück, und eine tiefe Wehmut
drückte sie nieder. Warum nur hatte Gott ihr ihr Leben zurückgegeben, nur um es ihr erneut zu rauben? Warum diese Ungerechtigkeit? Hatte sie es verdient, so gestraft zu werden?
Mit Jeanne und Gret konnte sie über diese Gedanken nicht sprechen. Ihre Freundinnen schüttelten nur verständnislos die Köpfe. Während Jeanne vielleicht noch die Trauer um ihre verlorene Liebe nachvollziehen konnte, wusch Gret ihr unbarmherzig den Kopf.
»Hör auf, über dein Schicksal zu jammern! Nun gut, du bekommst im Augenblick keinen Ehemann ab, aber auch das ist nicht nur ein Grund zu klagen. Glaube mir, Ehemänner sind zuweilen eine rechte Plage. Und wage es nicht, auch nur einmal deine jetzige Lage mit dem Leben unter Else Eberlins Fuchtel zu vergleichen! Dein Leben wurde dir erneut geraubt? Du lebst hier in feinem Müßiggang, ohne etwas zu vermissen, statt Nacht für Nacht stinkenden, besoffenen Männern zu Diensten sein zu müssen.«
Sie ereiferte sich so, dass Elisabeth kleine Spucketröpfchen ins Gesicht flogen. Jeanne umfasste Grets Arm und zog sie mit sich fort. Elisabeth blieb in ihrem kleinen Gemach zurück und fühlte sich wider Willen beschämt.
Also sprach sie nicht mehr darüber, wenn die Dämonen sie umtanzten, sondern versuchte sie durch heitere Gedanken zu vertreiben. Und das fiel ihr gar nicht so schwer. Sie musste sich nur ihre gemeinsame Arbeit mit Meister Thomas ins Gedächtnis rufen. Es waren die schönsten Stunden des Tages, wenn er sich in seine Alchemistenküche zurückzog, die er sich in einem kleinen Raum neben der Küche auf dem Zabelstein eingerichtet hatte, um einige Heilmittel für den Bischof herzustellen oder um Experimente zu neuen Rezepten durchzuführen.
Beim ersten Mal hatte ihn Elisabeth darum gebeten, zusehen zu dürfen, und versprochen, ihm nicht im Weg zu stehen oder seine Konzentration durch Geplapper zu stören. Meister
Thomas hatte nichts dagegen. Als er ihr Interesse bemerkte, begann er, ihr jeden Arbeitsschritt zu erklären. Dann bat er sie ab und zu um einen einfachen Handgriff. Schnell wurde daraus eine unentbehrliche helfende Hand, und da Elisabeth mit einem wachen Geist gesegnet war, wollte Meister Thomas nicht mehr auf seine Assistentin verzichten. So wurde jede Stunde zwischen den seltsamen Geräten im Dampf der Kräuter und anderen Zutaten ihr zur Lehrstunde und zum Genuss. Bald merkte sie, dass er es mochte, wenn sie ihm Fragen stellte, und er sich stets bemühte, ihr eine ausführliche Antwort zu geben und ihre Wissbegier zu befriedigen.
»Was sind das für Steine dort in der Schachtel?«, wollte Elisabeth wissen und nahm ein kaum faustgroßes Stück von blässlich grüner Farbe heraus.
Meister Thomas hob kurz den Blick. »Man nennt sie Jaspis.«
»Und die anderen? Es sind rötliche und grüne dabei und welche, die weiß oder fast klar sind.«
»Auch sie nennt man Jaspis, trotz ihres unterschiedlichen Auftritts. Die Farbe ist nicht entscheidend. Seht Ihr, es gibt grundsätzlich zwei unterschiedliche Auftritte: Die einen sind feinkörnig, die anderen von fasriger Struktur.«
»Und wozu verwendet Ihr diese Steine? Sie sind sehr schön. Dienen sie der Heilung oder nur, um eine Dame zu
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