Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
baufällig und wird nicht mehr bewacht.«
»Ja, sie ist einfach zu lang, um sie jederzeit mit Bürgern zu besetzen«, pflichtete ihm Elisabeth bei.
»Jedenfalls warteten die Scharwächter, bis sie sahen, was die Männer im Sinn hatten, und fassten sie, eben als sie die Holzpforte zu entriegeln versuchten. Sie riefen einige Wächter zusammen, als sie merkten, dass auf der anderen Seite etwas vor sich ging, doch die fremden Männer draußen entkamen, ehe der Hauptmann der Stadtwache Befehl gab, sie zu ergreifen. Nein, verdreht nun nicht die Augen und denkt schlecht über ihn. Er musste sich erst versichern, dass seine Männer dort draußen nicht in eine Falle laufen würden. Und was noch viel schwerer wog: Er musste sicherstellen, dass nicht er ungewollt zum Erfüllungsgehilfen wurde, indem er nachts leichtsinnig eine Pforte öffnete und einen unbekannten Feind in die Stadt einließ.«
Elisabeth sah den Henker betroffen an. »Daran hätte ich gar nicht gedacht. Mein erster Gedanke tat ihm unrecht. Wie klug der Hauptmann gehandelt hat.«
Der Henker nickte bedächtig. »Ja, das hat er. Vielleicht hat er damit viele Menschenleben gerettet und die Stadt vor großem Schaden bewahrt.«
Elisabeth fiel ein, dass sie ja so tun wollte, als würde sie den Henker gar nicht beachten. Niemand sollte sehen, dass sie sich mit ihm unterhielt. Rasch wandte sie den Blick wieder ab.
»Und nun? Wenn nun die Absicht der Angreifer, durch Hinterlist in die Stadt zu gelangen, gescheitert ist, was wird nun geschehen?«
Der Henker hob die Schultern. »Sie haben sich noch nicht erklärt oder irgendwelche Forderungen gestellt. Ich nehme aber an, dass es – anders als beim letzten Mal – nicht um die Begleichung von Schulden geht, die der Bischof wieder einmal zu bezahlen unterlassen hat. Dies ist eine Strafaktion! Es geht darum, den widerspenstigen Bürgern einen Denkzettel zu verpassen
und andere fränkische Städte zu warnen, was passiert, wenn sie sich Bischof von Brunn widersetzen und ihm ihre bedingungslose Gefolgschaft verweigern.«
Elisabeth fühlte, wie es ihr kalt den Rücken hinunterlief. »Ich darf gar nicht daran denken, was geschehen wäre, wenn der Plan aufgegangen wäre.«
»Dann hätte sich ein Strom ausgehungerter Raubritter und Söldner über die Stadt ergossen, blind brennend und mordend mit dem Ziel, möglichst viel Beute an sich zu reißen«, malte der Henker das Szenario mit beinahe heiterer Stimme aus. Elisabeth schloss gequält die Augen. Nicht, dass es so etwas nicht überall und immer wieder gab. Dies jedoch wäre im Auftrag ihres Vaters geschehen, nur um die Bürger dafür zu strafen, dass sie dem offiziell eingesetzten Pfleger treu blieben, statt zu einem Bischof überzulaufen, der durch einen Vertrag zurück an die Regierung zu kommen strebte, den man in seinem Entstehen nur als zwielichtig bezeichnen konnte.
Elisabeth holte tief Luft. »Werden sie nun unsere Mauern belagern und versuchen, die Stadt auszuhungern? Oder haben sie gar daran gedacht, Mauerbrecher mit sich zu führen, falls ihr erster Plan fehlschlägt?«
»Wir haben Boten geschickt, die die Lage erkunden sollen. Bisher hat keiner von solchem Gerät oder großen Büchsen gesprochen.«
Erleichterung ließ Elisabeth aufatmen. »Dann werden sie Würzburg nicht in die Knie zwingen.«
Der Henker war anderer Meinung. »Ich weiß nicht. Sicher werden sie nicht so einfach über unsere Mauern kommen, und es braucht schon Ausdauer, uns auszuhungern. Aber bedenkt, sie wollen uns nicht schätzen. Sie wollen uns strafen! Warum also nicht Würzburg einfach niederbrennen? Wie lange würden wir durchhalten, wenn sie an verschiedenen Stellen Brandpfeile herabregnen ließen?«
Elisabeth wurde blass. Sie schwankte bei der Vorstellung
gar. Nein, das unermessliche Leid wollte sie sich nicht ausmalen. Feuer war der größte Feind aller Städte, deren Häuser dicht an dicht gebaut waren und von denen die meisten zu viel Holz und Dächer aus Schindeln oder gar Stroh besaßen.
»Nein, das werden sie nicht tun!«
»Ihr glaubt, sie haben Mitleid mit uns? Sie denken gar an unschuldige Frauen und Kinder?« Der Henker lachte bitter.
»Nein, das glaube ich nicht, aber die Schatullen des Bischofs sind leer. Er hat nichts, um solch ein Heer zu bezahlen. Sie können nur auf reiche Beute bei der Plünderung der Stadt hoffen. Was gäbe es noch zu plündern, wenn alles in den Flammen zu Asche verbrennt?«
»Dann wollen wir hoffen, dass unsere Belagerer vor der Stadt auch
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