Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)

Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)

Titel: Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
Vom Netzwerk:
auch nicht mehr wussten.
    Ihr Blick wanderte weiter, bis er an einem Mann hängen blieb. Nachdenklich betrachtete sie die großgewachsene Gestalt im roten Wams. Wenn sich der Bürgermeister und seine Ratsherren schon nicht blicken ließen und auch die wenigen Domherren, die noch in Würzburg lebten, durch Abwesenheit glänzten, so war der Henker sicher der Mann der Stadt, der am meisten wusste. Doch konnte sie es riskieren, ausgerechnet ihn anzusprechen?
    So etwas tat man nicht! So viel Respekt die Menschen auch vor ihm hatten und so sehr seine Meinung auch zählte – sein Beruf, der ihn mit menschlichem Blut befleckte, machte ihn zu einem unehrlichen Mann, den alle Ehrlichen meiden mussten, wollten sie nicht ihre Ehre beflecken. Jede zufällige Berührung konnte einen Bürger zu einem Ausgestoßenen werden lassen. Mit dem Henker und seiner Familie pflegten nur andere Unehrliche wie die Abdecker, die Schäfer oder auch die Bader engeren Umgang, ohne selbst Schaden zu nehmen. Und natürlich die Dirnen des Frauenhauses und ihre Wirtin, über die er die Aufsicht zu führen hatte. Dennoch drängte es Elisabeth, sich zu ihm zu gesellen und ihn zu fragen.
    Sie mochte Meister Thürner und hielt viel von ihm. Sie war überzeugt, dass er – trotz des Makels seines Berufs – ein ehrenhafter Mann war, auf dessen Aufrichtigkeit und auf dessen Sinn für Gerechtigkeit man sich verlassen konnte. In den düsteren Monaten ohne Gedächtnis hatte sie ihn als solchen kennen und schätzen gelernt.
    Aber konnte sie nun als Tochter des Bischofs zu ihm gehen, wo er sie doch noch als die Dirne Lisa in Erinnerung hatte? Würde er seine Überraschung zeigen und sie gar verraten?
    Nein! Elisabeth war sich sicher, Meister Thürner würde
sich weder beabsichtigt noch unbeabsichtigt zu einer Bemerkung hinreißen lassen, die ihr hätte schaden können. Da war allerdings noch immer das Risiko seiner Unehrlichkeit. Sie konnte es sich nicht leisten, Aufmerksamkeit zu erregen. Sie wollte in diesen Tagen in Würzburg weder als Dirne noch als Bischofstochter erkannt werden. Und dennoch wollte und konnte sie nicht länger in dieser Ungewissheit ausharren.
    »Wo willst du hin?«, fragte Gret, als Elisabeth begann, sich zwischen den Menschen hindurchzuschieben, langsam und ohne Hast, aber zielstrebig, ohne sich aufhalten zu lassen.
    »Ich muss mit jemandem sprechen, der weiß, was los ist.«
    »Ach ja? Und mit wem? Willst du ins Rathaus eindringen und die Herren dort fragen? Was glaubst du, was passiert, wenn sie dich erkennen? So oder so?«
    »Ich habe nicht vor, den Grafeneckart aufzusuchen«, entgegnete Elisabeth, ohne sich aufhalten zu lassen.
    Gret und Jeanne warfen einander fragende Blicke zu, folgten ihr aber durch die Menge. Jeanne durchschaute als Erste ihr Vorhaben. Sie sog scharf die Luft ein.
    »Sie will zu Meister Thürner!«
    »Blödsinn«, war Grets erste Reaktion, doch dann wurde sie unsicher. »Sag, dass du nichts so Dummes machen würdest!«
    »Ich mache nichts Dummes«, erwiderte Elisabeth kühl, »dennoch habe ich durchaus vor, mit dem Meister zu sprechen.«
    »Ausgerechnet mit dem Henker!«, stöhnte Gret. »Er vergisst nie ein Gesicht, und er lässt sich auch garantiert nicht von einem Schleier oder einem anderen Gewand täuschen.«
    »Ich habe auch nicht vor, ihn zu täuschen. Ich möchte mich nur unauffällig mit ihm unterhalten und aus direkter Quelle etwas erfahren. Daher bitte ich euch beide, mich ein wenig abzuschirmen. Die Bürger müssen nicht sehen, dass wir miteinander sprechen.«
    Gret verdrehte gequält die Augen. »Ich gebe es auf. Aber
sage nachher nicht, wenn die Katastrophe über dich hereinbricht, ich hätte dich nicht gewarnt.«
    Elisabeth erwiderte nichts. Sie schob sich nun seitlich näher an den Henker heran, ohne ihn dabei anzusehen. Meister Thürner blieb das Manöver nicht verborgen. Er hob ein wenig erstaunt die dichten, grauen Brauen.
    »Nun, Fräulein, kann ich etwas für Euch tun?« Seine Stimme ließ nicht erahnen, ob er sie erkannte.
    »Ja, Meister Thürner, deshalb komme ich zu Euch. Könnt Ihr mir sagen, was sich in der Nacht und in den frühen Morgenstunden hier in und um Würzburg zugetragen hat?«
    »Wir werden belagert.«
    Elisabeth warf ihm einen empörten Blick zu und traf auf seine klaren Augen, aus denen der Schalk sprühte.
    »Seid Ihr mit meiner Antwort nicht zufrieden, Fräulein Elisabeth?«
    »Nein, ganz und gar nicht!«, gab sie so aufgebracht zurück, dass er auflachte.
    »Ihr wolltet

Weitere Kostenlose Bücher