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Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)

Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)

Titel: Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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ziehen, die die dichter besiedelte Vorstadt Haug nach Südosten abschloss, zeigte den Leuten vom Rennweg deutlich, dass die Stadt nicht vorhatte, diesen weitläufigen Bereich zu verteidigen. Obwohl der Rat alle Gefangenen der Stadt, die körperlich kräftig genug waren, zu den Mauerarbeiten eingesetzt hatte, war die Mittelmauer mit dem Beckentor – dort, wo sie an die Mauer der inneren Stadt stieß –, dem Handturm in der Mitte und dem Teufelstor am Ende der Semmelstraße noch lange nicht fertiggestellt. Das war der Schwachpunkt der Stadt, erläuterte Elisabeth Meister Thomas, als sie am Abend beim schwachen Schein einer Lampe in der Stube beisammensaßen. Sie fuhr mit dem Finger die Umrisse der Stadt auf dem blank geputzten Tisch nach.
    »Die Vorstadt Sand ist inzwischen gut befestigt: neue Türme und der vorgelagerte Zwinger mit einer zweiten Mauer. Aber hier im Südosten kann das Heer die noch immer baufällige Rennwegmauer überwinden und dann nach Nordwesten zur Mittelmauer vorstoßen. Ich denke nicht, dass man sie lange halten könnte, sodass dann erst die Vorstadt Haug und dann die Pleichach in ihre Hände fielen.« Bei Erwähnung der Letzteren zitterte ihre Stimme. Sie sah plötzlich das Frauenhaus ganz deutlich vor sich, das in der Vorstadt Pleichach am alten Judenfriedhof stand. Und seine Bewohnerinnen, die ihr ans Herz gewachsen waren. Elisabeth fürchtete um sie.
    »Doch hier wäre dann auch Schluss«, behauptete Meister Thomas überzeugt. »Die Mauer zur inneren Stadt ist ebenfalls mit einem Zwinger befestigt, und das innere Pleichacher Tor scheint mir unüberwindlich.«
    Elisabeth nickte. »Ja, die wohlhabenden Bürger der inneren Stadt können sich sicher fühlen. Vorläufig jedenfalls.«
    Mit einem mulmigen Gefühl legte sich Elisabeth zur Ruhe. In ihren Albträumen sah sie das Heer, das mit Kriegsgeschrei die Vorstadt überflutete. Männer mit Schwertern und Spießen in den Händen, die Mordlust in den Augen. Die Beute gehörte den Siegern. Gold und Weiber, darauf waren sie aus! An Münzen und Gütern würden sie in der Vorstadt nicht viel finden. Hier lebten vor allem Gerber, ein paar Metzger, Färber und andere kleine Handwerker. Die Dominikanerinnen vom Kloster St. Marx gehörten zwar zu den Wohlhabenden der Bettelorden, doch ob ihre Schatulle die Gier des Heeres stillen konnte? So würde sich das Kriegsvolk an die Frauen halten und sich an ihnen gütlich tun.
    Mit einem Schrei fuhr Elisabeth aus dem Schlaf. Jeanne war sofort an ihrer Seite. Sie entzündete ein Binsenlicht und trat ans Bett.
    »Ist etwas geschehen?«, fragte sie besorgt.
    »Nein, ich habe nur schlecht geträumt.«
    »Kein Wunder«, knurrte das Kammermädchen. »In was für Zeiten leben wir? Doch nun leg dich wieder zur Ruhe. Es ist kaum das erste Grau des Morgens auszumachen. Meister Georg und Sebastian sind noch nicht zurück von ihrer Wacht.«
    Elisabeth folgte Jeannes Worten und legte sich wieder hin, obwohl sie sich nicht vorstellen konnte, wie sie mit diesem ängstlich klopfenden Herzen Ruhe finden und noch einmal würde einschlafen können.
    Elisabeth hatte sich gerade die Decke bis zum Kinn gezogen, als die Glocken zu läuten begannen. Die beiden Frauen fuhren hoch und starrten einander entsetzt an.
    »Es ist die Feuerglocke, nicht wahr? Sie wollen uns niederbrennen und versuchen die Stadt zu stürmen!« Jeanne stürzte ans Fenster und stieß den Laden auf.
    »Ich kann nichts sehen«, verkündete sie, »aber die ersten Leute laufen aus ihren Häusern.«
    Mit einem Satz war Elisabeth aus dem Bett. Da kamen bereits Gret und Meister Thomas gelaufen.
    »Rasch, zieht euch an.« Elisabeth griff schon nach einem einfachen Kleid aus grobem Leinen. »Wir wollen sehen, was los ist. Wenn sie die Häuser in Brand schießen, müssen wir beim Löschen helfen. Vorn in der Kammer stehen die Ledereimer. Jeder nimmt sich zwei davon.«
    Die anderen gehorchten. Meister Thomas hastete davon, um Beinlinge und Wams überzuziehen. Gret war bereits angekleidet. Gerade als sie das Haus verließen, kamen ihnen Georg und Sebastian entgegen. Sie trugen noch die Spieße in den Händen, die der Viertelmeister ihnen für den Mauerdienst gegeben hatte.
    »Was tut sich dort draußen? Greifen sie an? Ist das die Feuerglocke? Ich kann keinen Rauch aufsteigen sehen. Brennt es irgendwo in der Stadt?«
    »Nein, noch nicht, aber irgendetwas geht dort draußen vor.
Wir müssen auch gleich wieder auf unseren Posten. Wir wurden nur geschickt, Verstärkung zu

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