Das Archiv
gewonnen.«
Der Hörer in seiner Hand tutete. Für Zwinker-Erich waren es Fanfaren seines überlegenen Geistes.
XVII
Plötzlich war nichts mehr zu tun für Bill Weiss. So kurz vor den Weihnachtsfeiertagen in Wien hatte er das starke Gefühl, daß alle nur an das Fest dachten, auch die in Wien etablierten Geheimdienstler inklusive der österreichischen Staatspolizei. Mein Gott, was für ein Theater! Weihnachten brachte es mit sich, daß nicht einmal mehr Christa für ihn Zeit hatte, sie erwartete Besuch von ihrem Verlobten aus Salzburg, und überhaupt hatte Bill den Eindruck, als ob alle Menschen um ihn herum plötzlich verrückt wären. Wildfremde Leute wünschten ihm ein frohes Fest, der Hausmeister zum Beispiel und die Trafikantin um die Ecke, sie fragten, wie er das Fest verbringen würde, erwarteten aber keine Antwort, sondern gaben Schilderungen ihrer eigenen Vorhaben, zählten eine Liste von Geschenken auf, die sie gekauft oder noch zu besorgen hätten. Aber das war schon immer so in seiner Heimat, daran also hatte sich nichts geändert.
Geändert hatte sich Bill Weiss. Was ihm seinerzeit, vor zehn Jahren, selbstverständlich, wenn auch etwas komisch erschien, empfand er nun als fast unerträgliches und vertrotteltes Gehabe seiner Mitmenschen. Außerdem kam er sich sehr verlassen vor, noch einsamer als sonst, seltsamer Außenseiter in seiner Heimatstadt. In dieser Stimmung beschloß er, den ihm am nächsten stehenden Menschen in dieser Stadt zu besuchen, und wenn’s nur für ein lapidares »wünsch Ihnen ein frohes Fest« war. Er ging also zu Polizeirat Dr. Hammerlang. Der Polizeirat saß wie immer hinter seinem Schreibtisch, und als Bill eintrat, lächelte er sein müdes aber freundliches Lächeln und bestellte Kaffee.
Bill hatte zuerst daran gedacht, dem Polizeirat die Geschichte von der Zahnarztrechnung, von Maria Sommer und Herberts Sohn zu erzählen. Dann aber verwarf er den Gedanken wieder. Womöglich ließe Hammerlang die Sache überprüfen, erführe dabei von der alten Plastikmappe Herberts und würde neugierig werden. Sicherlich hätte der Polizeirat alles überprüfen lassen. Bill redete also ein wenig herum, daß es von seiner Seite aus nichts Neues gäbe und er wissen möchte, ob der Polizeirat bei seinen Ermittlungen nach dem Mörder Herberts weitergekommen sei. »Sie hatten recht, was den Grafen Sednitzky betrifft«, sagte Hammerlang. »Ihr Freund hatte tatsächlich nie Kontakt zu ihm. Die Geschichte von dem Verkaufsangebot Rossmanekscher Aufzeichnungen ist erlogen, oder genauer gesagt, vorgetäuscht.« Hammerlang rührte nachdenklich den Kaffee. »Irgendein Dienst will auf die Existenz dieser alten Papiere aufmerksam machen. Der alte Graf, dieser Dummkopf, ist für solche Gerüchte immer noch gut genug. Aber fragen Sie mich nicht, welcher Dienst. Bei Sednitzky weiß man das nie!« Der Polizeirat legte den Löffel auf die Untertasse und sah auf: »Existiert dieses Rossmanek-Archiv?« fragte er.
Fast hätte Bill bejaht. Es war so schwer, in dieses sympathische Gesicht zu lügen. Mühsam zog er die Schultern hoch. »Wie soll ich das wissen«, sagte er. Er sah auf den Kaffeelöffel.
»Sie können mich auch während der Feiertage anrufen, wenn irgendwas passieren sollte«, sagte Hammerlang. »Sagen Sie dem Journaldienst Ihren Namen, er weiß immer, wo ich erreichbar bin.« Bill bedankte sich höflich. Der Polizeirat geleitete ihn zur Tür, »schöne Feiertage«, sagte er noch. Die Polstertüre raschelte leise beim Öffnen. »Ebenfalls frohe Weihnachten«, sagte Bill, dann stand er im Vorzimmer.
»Ein frohes Fest, Herr Weiss«, lächelte die Sekretärin freundlich. Es überraschte ihn, daß sie ihn beim Namen nannte. Sie muß einmal hübsch gewesen sein, dachte er. Zu dick war sie jetzt. Die typische Wienerin. »Ebenfalls alles Gute«, entgegnete er. Ihre Blicke trafen sich. Eine Sekunde hatte er den Wunsch zu fragen, ob sie das Fest mit ihm feiern wolle. Wie dumm von ihm. Weihnachten, Fest der Familie! Sicher hatte sie daheim einen Mann und Kinder, einen geschmückten Christbaum. Er lächelte schuldbewußt. »Ihren Mantel«, sagte die Sekretärin, den hätte er glatt vergessen.
Auf der Straße sah er nur Menschen mit Paketen beladen, die es alle sehr eilig hatten. Es hatte aufgehört zu schneien. Die Autoschlange auf der Fahrbahn war dreispurig und bewegte sich im Schrittempo. Bill stülpte den Mantelkragen hoch. »Frohes Fest«, sagte er zu sich selber. Es klang wie eine
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