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Das Archiv

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Titel: Das Archiv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Frank
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glücklich sein Freund darauf aussah.
    Maria Sommer kam und stellte die Tasse auf den Tisch. Sie sah in sein Gesicht und auf das Foto. »Ich erzähl’ ihnen alles später, Bill«, sagte sie ruhig. »Herbertl, geh dich jetzt waschen«, rief sie zur Tür. Dann war sie wieder verschwunden. Er trank den Kaffee. Sie hatte »Bill« gesagt. In Österreich hatte ihn nur Herbert so genannt. Sie wußte also von ihm und wer er war. Und wahrscheinlich auch, was er wollte. Teufel, warum hatte sie nie angerufen, wenn sie von seiner Existenz gewußt hatte. Wenn Herbert von ihm erzählt hatte, von seinem einzigen Freund, sie hätte sich doch vorstellen können, in welcher Situation er war. Der Bub kam zurück ins Wohnzimmer, sauber gewaschen, schon im Pyjama. »Bleibt der Onkel bei uns?« wollte er wissen. Nein, sagte seine Mutter, um eine Spur zu hastig, wie es Bill vorkam. Der Kleine wollte noch den Fernseher andrehen, aber es wurde ihm nicht erlaubt. Folgsam sagte er »gute Nacht« und gab Bill die Hand, die nach Seife roch. Bill sah diese hellen Kinderaugen und hatte den Wunsch, den kleinen Kerl an sich zu drücken. Er lächelte aber nur und ärgerte sich, weil er vergessen hatte, dem Kind etwas mitzubringen. Ein kleines Geschenk oder so was. »Hast du einen Wunsch, Herbert?« fragte er. Er dachte an einen Fußball oder eine Eisenbahn, was Siebenjährige eben gerne haben. »Ich möchte, daß Papa in den Himmel kommt«, hörte er den Kleinen sagen. Geh jetzt zu Bett, sagte seine Mutter. »Natürlich kommt er in den Himmel«, erklärte Bill. »Dein Vater war ein anständiger Mensch. Anständige Menschen kommen in den Himmel, alle.«
    »Der Alexander hat gesagt, Papa war ein Spion.« Die Lippen des Kleinen zuckten.
    »Ein Spion ist nichts Schlimmes, und dein Vater war auch gar keiner. Dein Freund Alexander versteht nichts von diesen Dingen.«
    »Geh jetzt zu Bett«, mahnte die Mutter. »Kommst du noch beten?«
    Die Frau nickte, und sie gingen ins Kinderzimmer. »Jesukindlein komm zu mir …«
    Bill spürte, wie ihm die Tränen in die Augen schossen. »… mach ein frommes Kind aus mir …« Ich muß was tun für dieses Kind, dachte Bill. »… mein Herz ist klein, darf niemand hinein …« Sie haben ihm den Vater umgebracht. Journalisten machten einen großen Spionagefall daraus. Wer nimmt heutzutage Rücksicht auf die Gefühle eines Kindes? Papa war ein Spion. Ein Spion ist etwas Böses. Alexander hat es gesagt. Sein Vater hat es in der Zeitung gelesen. »… als du mein liebes Jesulein. Im Namen des Vaters und des Sohnes …«
    Ich muß etwas tun für dieses Kind. Es ist das Kind meines einzigen Freundes.
    »… und des Heiligen Geistes. Amen.« Die Mutter kam zurück ins Wohnzimmer. »Jetzt können wir reden«, hörte er sie sagen. Aber eigentlich redete nur sie. Bill hörte zu, es war die unglaublichste Geschichte, die er je gehört hatte.
    Es war die Geschichte seines Freundes Herbert, die Geschichte seiner großen Liebe zu Maria, der Krankenschwester. Die Tragik zweier Menschen, die einander liebten und doch so verschieden voneinander waren, daß der traurige Ausgang eine unausbleibliche Konsequenz war. Wie ruhig und verständnisvoll diese Frau erzählen konnte. »Ich hatte den Buben schon«, sagte sie, »als mich Herbert endlich wissen ließ, wie er sein Geld verdiente. Es war überhaupt keine Frage für mich: Entweder er machte sofort Schluß mit seiner Agententätigkeit, oder ich machte Schluß mit ihm. Wir waren damals schon verheiratet, verstehen sie? Nur kirchlich, eine standesamtliche Ehe zählt für mich nicht. Daher habe ich auch nie Winkler geheißen, auch der Bub nicht. Das ist gegen das Gesetz, aber ich fand einen Geistlichen, der uns traute. Vor Gott, nicht vor den Menschen. Die weltlichen Gesetze bedeuten mir nichts, verstehen Sie?«
    Bill verstand gar nichts.
    Herbert habe doch nichts Böses getan, versuchte er seinen Freund zu verteidigen. Die Welt bestehe doch nicht nur aus Schwarz und Weiß, es gäbe Tausende von Schattierungen dazwischen. In seinem Alter wollte Herbert eben in dem Beruf Geld verdienen, für den er ausgebildet war, in dem er Erfolg hatte. Er tat es für seine Frau, für sein Kind, nicht für sich. Er war einfach …
    Dieses Lächeln in ihrem Gesicht ließ ihn verstummen. Wie ähnlich er und Herbert sich doch wären, mußte er sich sagen lassen. Fast dieselben Worte habe auch Herbert immer gebraucht. Und wie unannehmbar das alles für sie gewesen sei, und wie sie schon immer gewußt

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