Das Archiv
Gotteslästerung.
Margarete Scherbler hörte das vertraute Geräusch der Polstertür und wie der Polizeirat seinem Besucher schöne Feiertage wünschte. Sie lächelte diesen Bill Weiss freundlich an. Ein interessanter Mann, mußte sie denken, aber sieht verlebt sah er aus. Sie sagten sich »frohe Feiertage«, und eine Sekunde lang hatte sie den Wunsch, er möge sie einladen, gemeinsam mit ihm zu feiern. Wie dumm von ihr. Der Mann hatte sicher Besseres vor, der dachte gar nicht daran. Und wie geistesabwesend er war, fast hätte er seinen Mantel vergessen.
Von den Problemen Margarete Scherblers hatte ihr Chef also keine Ahnung. Ihr Chef nicht und ebensowenig ihre Kollegen. Wie sollten sie auch. Man traf sich in der Früh im Büro und wünschte sich einen guten Morgen. Dann begannen die Schreibmaschinen zu klappern. Um zehn Uhr war Kaffeepause. Grete Scherbler machte sie manchmal schon früher, ganz nach Belieben Dr. Hammerlangs. Schließlich war sie Chefsekretärin. Man arbeitete den ganzen Tag oder tratschte auch ein wenig, bis fünfzehn Uhr dreißig. Dann wünschte man sich einen guten Abend oder ein schönes Wochenende, je nachdem. Ein Tag verging wie der andere.
So ging das nun schon zwanzig Jahre für Frau Fachinspektor Scherbler, und mit jedem Jahr wurde es schlimmer. Sie war jetzt neununddreißig, ihrem vierzigsten Geburtstag sah sie mit Kummer entgegen. Wie schnell die Jahre vergangen waren. Und was war schon passiert in dieser langen Zeit? Sehr wenig. Ein paar Männer am Anfang, die sie schon fast vergessen hatte. Ein paar Urlaube in Italien, einer in Spanien. Dann das Büroverhältnis mit Dr. Hammerlang. War es schon zu Ende? Wahrscheinlich, es sah so aus. Eine Blinddarmoperation vor fünf Jahren, der Tod ihrer Eltern vor zehn Jahren. Die eigene Wohnung, auf die sie anfangs so stolz war. Jetzt hatte sie oft Angst vor den eigenen Wänden. Der Torposten salutierte und sagte: »Schöne Feiertage, Frau Scherbler.« Den Kerl kannte sie jetzt auch schon eine Ewigkeit. »Ebenfalls, Herr Inspektor«, lächelte sie zurück. Immerhin hatte er »Frau Scherbler« gesagt, auf dieses taktlose »Fräulein« konnte sie wirklich verzichten. Schöne Feiertage! Es war also wieder einmal soweit. Feiertage und Wochenenden waren Margarete Scherbler verhaßt. Wohnungsputz am Samstag, dann Fernsehen. Sonntag lange schlafen, dann vielleicht Spazierengehen in Schönbrunn. Abends wieder Fernsehen. Sie könnte nach Eisenstadt fahren zu Kathi, ihrer Freundin. Kathi war verheiratet, so alt wie sie, und hatte drei Kinder. Ihr Mann war Vertreter für Burgenländischen Wein und nie zu Hause, auch Sonntag nicht. Sie könnte sich Kathis Raunzereien anhören und die neuesten Geschichten, mit wem und wo ihr Mann sie gerade betrog. Und die Kinder würden ihr auf die Nerven gehen mit ihrem ewigen »Tante Greti«. Und ihr Wagen hatte einen Service nötig, wer weiß schon; ob die Batterie noch funktionierte, sie war schon zwei Wochen nicht mehr in Betrieb. Richtig, ihr Auto hätte sie fast vergessen bei den Ereignissen ihres Lebens. Das war auch so etwas Großartiges. Vier Jahre hatte sie gespart auf das Prachtstück. Für den Führerschein hatte sie gebüffelt, und bei der ersten Prüfung war sie durchgefallen. Einmal, damals war sie neunundzwanzig – war sie schwanger, vermutlich von. Hammerlang. Der Arzt hatte sie eine Menge Geld gekostet.
Es folgten zwanzig Dienstjahre bei der Polizei, einige erfolgreich absolvierte Dienstprüfungen und der Amtstitel Fachinspektor. Neuntausendvierhundert Schilling Monatsgehalt brutto, davon lebte sie jetzt.
Zwanzig Jahre im Leben einer Frau, die wichtigsten Jahre vergeudet und vertan. Was sollte noch kommen? Alter, Häßlichkeit, Krankheiten? Wohlverdiente Pension? Die Verdienstmedaille der Republik Österreich, in Silber. Dann der Ruhestand, die ununterbrochene Reihe langweiliger Wochenenden. Fachinspektor Scherbler hatte noch immer das Lächeln im Gesicht, seit sie den Torposten gegrüßt hatte, es war wie eingefroren. Sie ging die Ringstraße hinauf in Richtung Schottentor.
Sie sah die Telefonzelle, sah auch, daß jemand drinnen war und telefonierte, und wie immer bekam sie Herzklopfen vor Aufregung. Wie immer ärgerte sie sich darüber. So ging das nun schon vier Jahre. Vier Jahre.
Damals lernte sie Miro kennen, Miroslaw Slobodim. Politischer Flüchtling aus Prag und Student für Welthandel an der Hochschule Wien. So sagte er, und anfangs hatte sie es auch geglaubt. Nicht lange allerdings, nur knapp
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