Das Archiv
seines Chefs nach Dienstschluß immer hier telefonierte, wo sie es vom Büro aus doch viel bequemer hatte. Inspektor Prokesch telefonierte jedoch nicht, er blätterte nur aufmerksam im Telefonbuch. Eine ganze Weile. Dann ging er Richtung Votivkirche, in ein Espresso, wo ihn bereits der alte Hansl Beier erwartete.
Hansl Beier war Pensionist, genauer gesagt, pensionierter Kriminalbeamter und ehemaliger Chef des um zwanzig Jahre jüngeren Prokesch. Er war jetzt siebenundsechzig, benahm sich aber umständlich wie ein Achtzigjähriger. Als er seinen früheren Untergebenen Prokesch kommen sah, grinste er erfreut, und die tausend Falten in seinem Gesicht formten sich zu einer einzigen Aussage seiner vierzigjährigen Kriminaldienstzeit. Niemand hätte ihn in diesem Augenblick für senil gehalten. Die zweitausend Schilling, die ihm Prokesch aus einem Paket von fünf Tausendern in die Hand drückte, steckte er lässig in seine Westentasche. Dann tranken beide ein Bier und murmelten sich etwas zu, das niemand verstehen konnte.
In seinem Büro fand Mr. Cooper zwei Notizen vor, die ihm seine Sekretärin getippt und auf den Schreibtisch gelegt hatte. Es war fünf Minuten nach Büroschluß, und Mr. Cooper ärgerte sich wieder einmal über die Pünktlichkeit seiner Sekretärin beim Weggehen. Morgens, beim Dienstantritt, war sie bei weitem nicht so akkurat. Er las, daß um fünfzehn Uhr der Botschafter angefragt habe, ob sich Mr. Cooper zum Wochenende einem Ausflug nach Saalfelden zum Skifahren anschließen wolle. Er bitte um umgehende Nachricht. Das freute Edward Cooper, denn diese Gelegenheiten waren günstig, mit dem Botschafter Dinge zu besprechen, die sich im reinen Dienstverkehr schwer bereden ließen. Außerdem war Edward Cooper ein begeisterter Skifahrer, und die Aussicht auf ein Wochenende in den Bergen war verlockend. Dann las Cooper eine Mitteilung der Telefonzentrale: Um fünfzehn Uhr zwanzig hatte ein Mann angerufen, der für den zuständigen Referenten in einer »Transaktion Herbert Winkler« eine Nachricht habe. Der Mann werde sich wieder melden.
Cooper drückte eine Sprechtaste auf seinem Schreibtisch und ließ sich das Tonband dieses Telefonanrufes bringen. Er spielte es dreimal ab, in seinen Polstersessel zurückgelehnt, die Augen geschlossen.
Sein Kopf hatte den konzentriert-verzückten Ausdruck eines Musikliebhabers beim Anhören seiner Lieblingssonate. Melodien aber waren nicht zu hören. Statt dessen das dreimalige Schnurren des Telefons, das Klick des Abhebens und die Stimme der Telefonistin im Switch-Board: »Botschaft der Vereinigten Staaten von Nordamerika.« Dann eine ruhige Männerstimme in leicht österreichisch gefärbtem Deutsch: »Guten Tag Fräulein. Bitte unterbrechen Sie mich nicht. Ich habe eine Nachricht für den zuständigen Mann in der Herbert-Winkler-Transaktion. Die Nachricht lautet: Ich bin im Besitz der Ware und bereit, sie Ihnen zu denselben Bedingungen zu verkaufen, die mit Herbert Winkler abgemacht waren. Ich rufe morgen oder übermorgen wieder an und werde nur sagen: hier spricht Herbert Winkler. Ihr zuständiges Referat soll sich bereithalten. Das ist alles. Guten Tag Fräulein.« Klick.
Edward Cooper holte ein paarmal tief Luft. Dann ließ er sich mit der Sekretärin des Botschafters verbinden. Er bedauere sehr, sagte er, ein Wochenende in den Bergen wäre gerade das Richtige für ihn gewesen. Aber er könne aus dienstlichen Gründen die Botschaft während der nächsten achtundvierzig Stunden nicht verlassen.
XXII
Er pfiff die Melodie des Gefangenenchors aus Nabucco, gedankenverloren und manchmal auch falsch, und sein Plan gefiel ihm zunehmend besser, obwohl er so abenteuerlich und verrückt war. Vielleicht auch gerade deshalb. Er informierte sich eingehend über Krebskrankheiten, las medizinische Fachzeitschriften und fragte sich, woran wohl die vielen Millionen Menschen gestorben waren, bevor kluge Doktoren den Krebs entdeckt oder erfunden hatten. Zu Millionen waren sie gestorben in früheren Generationen, ausgerechnet seine Generation machte ein solches Geschrei um diese Art von Tod, den Krebstod. Und nach reiflicher Überlegung beschloß er, an Krebs zu leiden.
Es gab viele Möglichkeiten. Als starker Raucher entschloß er sich nach kurzem Überlegen für einen Lungenkrebs. Der Primararzt runzelte die Stirn, als ihm Bill seine Beschwerden vortrug. Danach erhielt Bill einen Überweisungsschein zu einem Röntgenologen, einen zweiten für einen Lungenfacharzt und eine
Weitere Kostenlose Bücher