Das Archiv
Winkler, Gott hab ihn selig, weiß man schon was? Man liest gar nix mehr in den Zeitungen darüber.«
Er wisse nichts, meinte Bill und dachte an Sonja und daran, was sie gerade tun würde. Nein, leider, er wisse gar nichts. »Unsere Polizei«, schimpfte der Wirt, »unsere Polizei.
Wenn man in der Kurzparkzone steht, eine Viertelstunde länger als erlaubt, sofort wird man bestraft. Aber einen Mörder findens nicht. Der arme Herr Winkler, so freundlich war er immer. Einen Mörder findens nicht und die Terroristen auch nicht. Aber die braven anständigen Bürger strafen wegen Parkzeitüberschreitung, das können sie. Unter dem Hitler hätte es das nicht gegeben, der Herr wisse das eh.« Der Herr nickte und trank seinen Wein. Er wußte es eh. Zurück in seiner Wohnung suchte Bill einen Korkenzieher, der leicht zu finden war. Er bat Sonja, sie möge zwei Gläser auswaschen und während sie dies folgsam tat, sah er sich ein wenig um. Das abgebrochene Zündholz lag nun unter dem Kasten, das Papierstückchen an seiner Aktentasche fehlte, und das aufgeklebte Haar über der Schublade war gerissen. Sie hatte also gründlich gearbeitet, seine Sonja. Sie tranken Wein, und gegen zweiundzwanzig Uhr klingelte das Telefon. Es war Zwinker-Kilian. Bill sagte müde »hallo«, aber Zwinker-Erich schien recht gesprächig und seltsam erregt. »Du hattest es ja eilig, gestern«, krähte er, »ich hab’s gut gemeint, mit dir, und die beiden Hasen waren super! Und wie steht’s mit unserer geschäftlichen Abmachung? Keine Ausreden, alter Freund, versprochen ist versprochen, oder?« Ein wenig Sorge klang in Zwinker-Erichs Stimme. Bill grinste müde.
»Das geht schon in Ordnung«, sagte er gütig. »Du bekommst das Zeug, mich interessiert es nicht mehr.« Er vermied es, Erich beim Namen zu nennen. Er spürte die angespannte Aufmerksamkeit Sonjas, wie sie jedes seiner Worte registrierte. Der alte Erich sollte seine Chance haben. Eine geringe, eine sehr, sehr geringe Chance, wenn man Alter und körperlichen Zustand Zwinker-Kilians in Betracht zog.
Bill erklärte umständlich Adresse und Lage der Schrebergartenhütte Rossmaneks. »Gleich wenn du reinkommst, links, ist ein Tisch mit vielen Büchern und Zeitschriften. Dort lege ich das Zeug hin. Du erkennst es leicht, es sieht genauso aus wie jenes, das du schon hast. Ein Zwilling also.« Bill kicherte. »Frag mich nicht, wieso gerade in dieser Hütte. Und komm nicht vor morgen um achtzehn Uhr«, sagte er, »komm nicht vorher, ich habe vorher keine Zeit. Entweder du triffst mich noch in der Hütte, und ich geb dir das Zeug, oder ich leg’s dir auf den Tisch. Die Tür ist immer offen, das Schloß ist kaputt. Alles Gute, aber sei vorsichtig. Erinnere dich an meinen Freund. Nein, für mich ist das Ganze nichts mehr. Ich hab andere Probleme. Also, wir treffen uns entweder morgen achtzehn Uhr, oder du findest das Zeug auf dem Tisch. Ja, es gehört dir. Ja, ebenfalls alles Gute. Servus.« Er legte den Hörer auf.
»Weißt du, Sonja«, sagte er, »Herbert hätte damals auch Schluß machen sollen mit dem Job. Vor zehn Jahren. So wie ich. Mir ist heute unbegreiflich, daß mir dieser Kram einmal etwas bedeutet hat. Aber die Menschen werden nicht gescheiter.« Er machte eine Handbewegung zum Telefon. Und wieder trank er und sah genauso aus wie vor den Klosettspiegeln in den vergangenen Tagen. »Jemand den ich kenne?« fragte Sonja leichthin und deutete ebenfalls zum Telefon. »Nein, Sonja, ein Neuer, ein Nachwuchsmann. Bekannter von Herbert. Ein Dummkopf. Meinetwegen kann er Herberts Zeug haben.« Bill hustete lange und umständlich, schenkte sich ein Glas voll. Nicht einmal Rock und Schuhe hatte er ausgezogen, ganz gegen seine Gewohnheit. Auch Sonja war voll angezogen, sieht man von der Pelzjacke ab. Bill trank in einem Zug das Glas leer. Gleich kommt es, dachte er, gleich muß es kommen. Ich habe es ihr leichtgemacht. Gleich ist es soweit.
»Weißt du«, hörte er sie sagen, »wir sind heute beide nicht in. Stimmung. Kein guter Tag für uns. Es ist besser, ich gehe jetzt. Sei nicht böse.« Sie stand auf.
»Keine Stimmung für Liebe heute. Ich hoffe, du verstehst mich.« Sie zog die Pelzjacke an.
»Ich versteh’ dich gut«, sagte er. Es klang traurig, aber so überzeugend, daß er über seinen eigenen Tonfall erschrak. »Versteh’ bitte auch mich«, verbesserte er schnell. »Ich bin nicht in Ordnung, nicht gesund, weißt du.« Er bestand darauf, sie zum nächsten Taxistand zu begleiten. »Geh zu
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